Diesmal war alles anders.
Nicht nur, dass ich den Bericht aus den Aussagen meiner Freunde und aus dem Nebel meiner Sufferinnerung zusammen puzzlen muss, nein, ich war auch in keinerlei Planung involviert.
So kam es, dass freitags plötzlich ein Teil meiner Freunde in meinem Büro stand. Da dieses Volk noch nie an meinem Arbeitsplatz aufgetaucht ist und schon gar nicht mit Bier in der Hand, wusste ich was die Stunde geschlagen hat. Der Tag meines Junggesellenabschiedes, er war gekommen.
Ich musste mich zunächst einmal sammeln, man hatte in Sachen Geheimhaltung einen sehr guten Job gemacht. Mein Chef war ebenfalls informiert, so dass das anreißen einer Hülse, während der Arbeitszeit, kein Problem darstellte.
Ich wurde also in einen 9er gesetzt, der mit Gebirgen von Bierdosen ausgekleidet war und los ging die wilde Fahrt. An zwei Bahnhöfen wurden jeweils der Kulturbeauftragte und der stille Teilhaber eingesammelt, was mich nicht nur deshalb sehr gefreut hat, weil es eben zwei Jungs waren die dazu gehören, nein, die Beiden hatten eine dreiwöchige Südamerikatour in den Knochen (und Portemonnaies).
Nachdem die Gang komplett war, konnten wir die Reise fortsetzen. Kurz nach der schweizer Grenze wird es dunkel in meiner Erinnerung. Ein Erinnerungsfetzen bestand darin, dass wir oben ohne an einem Rastplatz in der Schweiz unserem Harndrang nachgeben mussten und von den Mitparkern sehr kritisch beäugt wurden. Einige zogen es vor, ihre Rast an einem entfernteren Parkplatz fortzusetzen. Die Reise wurde größtenteils ohne Oberbekleidung absolviert.
Man fragte mich des öfteren, ob ich denn eine Ahnung hätte, wo es hingeht. Da ich aber immer der Meinung war, dass mein JGA in Tschechien stattfinden würde, konnte man die Fragezeichen über meinem Kopf buchstäblich sehen.
So richtig erinnern konnte ich mich dann erst wieder, als der 9er am Zielort abgestellt wurde und ein Wasserfall aus leeren Bierdosen aus dem Kofferraum unseres Gefährtes floss. Der Inhaber der Airbnb-Bude nahm es mit Humor. Ein Blick aufs Handy verriet mir, dass wir in Mailand waren. Die Freude darüber kannte keine Grenzen. So hatte ich es doch ewig versucht mal nach Mailand zu kommen aber aus hunderten von Gründen hat es nie geklappt. Unter anderem haben mir die Jungs aus der Fußballgruppe in letzter Zeit oft genug dafür abgesagt, jetzt wusste ich warum. Allerdings habe ich mir, während der Planungen für meinen JGA bereits Inter-Tickets für die Folgewoche besorgt, aber was solls, das San Siro kann man sich auch zwei Mal anschauen.
Jetzt, da wir angekommen waren, konnte sich auch Max, der hauptverantwortlich für die Organisation zeichnete und unser Fahrer war, ein paar Bier in der Schädel kippen. Hat er gut gemacht.
Zufrieden, untermalt von der Melodie der italienischen Krankenwagensirenen, fielen uns die Augen zu.
Der nächste Morgen begann mit einem gemeinsamen Frühstück. Der stille Teilhaber versorgte die Gang mit seinem berühmten Eiersalat. Natürlich gab es auch Kaffee. Was die wenigsten wussten, dies sollte, zumindest für die Meisten, an diesem Tag das einzige alkoholfreie Getränk bleiben.
Die Jungs haben eine Stadttour zum Mailänder Dom und zu einem Kolosseum geplant, welches, wie sich herausstellte, genau das Stadion war, welches sich der Kulturbeauftragte, ich und unser polenaffinier Freund ein paar Wochen zuvor anschauen wollten. Corona hatte unserem Vorhaben leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wer mal in die Verlegenheit kommt, ein Spiel in der Arena Civica anschauen zu können, sollte das unbedingt tun. Die Arena könnte auch im alten Rom stehen, ein monumentales Bauwerk.
Nun will ich auch nicht alles von meinem besonderen Wochenende ausplaudern, es gibt Dinge, die müssen einfach zwischen uns und Mailand bleiben.
Was allerdings jeder wissen kann ist, dass der Glanz in den Augen des Kulturbeauftragten verschwand, als für ein 0,75l Bier 17€ aufgerufen wurden.
Der Glanz kehrte allerdings zurück, als er in einem Restaurant einem Kellner eine Flasche mit einem Rest Limoncello aus der Hand riss und diese auf einen Zug leerte. Da war er wieder, der Mann aus Eisleben.
Der Abend wurde in unserer Wohnung fortgesetzt. Und hier ist dann auch unserem Max die Maske der Zurechnungsfähigkeit vom Gesicht geglitten. Es wurde aus stinkenden Schuhen, welche den ganzen Tag an den Füßen der Protagonisten waren, getrunken (ein Schuhi), darüber hinaus fielen dann auch schließlich und endlich die letzten Kleidungsstücke (HAHOHE, Unterkörper frei).
Unser Kulturbeauftragter konnte den Angreifer nur mit einem Stuhl abwehren.
Zu allen Aktivitäten wurden feinste Ostschlager und die Nationalhymne Brandenburgs gebrüllt/geschrieen. Die italienischen Nachbarn nahmen es mit Humor.
Mein Arbeitskollege war, ob des maßlosen Bierkonsums, gepaart mit dem vernichten eines jedem hochprozentigen Gesöffs, nennen wir es mal erstaunt.
Irgendwann war dann auch dieser verrückte Tag (leider) zu Ende.
Der Sonntag gehörte dann dem Fußball.
Ziemlich zerknittert fuhr unser zerstörter Haufen zum San Siro. Wir waren früh dran, so das die Parkplatzsuche kein Problem darstellte.
Am Stadion fiel uns, ob der Dimensionen des San Siro, zunächst einmal die Kinnlade herunter.
Bei einem utopisch geilen Schnitzelbrötchen und dem ein oder anderen Bier, flankiert von ein paar Borghetti, konnte das Stadion ausgiebig bewundert werden. Unglaublich, das ein solcher Tempel abgerissen werden soll.
Auf dem Vorplatz beobachteten wir den Einmarsch der aktiven Fanszene, die, untermalt von Böllern und mit Polizeieskorte das Stadion enterten.
Das Bier schmeckte bereits wieder und leicht beschwingt betraten wir, nach Ausweis-/Ticketvergleich und ohne nennenswerte Kontrolle das San Siro.
Wir erklommen einen der Serpentinen-Türme hinter der Curva Sud und standen wie die Kinder vorm Schokoladenladen, als wir den Innenraum betraten. Außer unser Kulturbeauftragter, der ist satt.
Nachdem wir die Serpentinenrampe hochmarschiert waren, wurde für uns endlich die ewige Frage beantwortet, wie seinerzeit die Ultras von Inter die Vespa des Bergamo-Capos auf den Oberrang des San Siro bekommen haben, um sie herunter zu werfen. Die sind damit einfach hoch gefahren.
Unsere acht zusammenhängenden Plätze lagen im Oberrang über der Curca Sud und boten uns gute Sicht auf die Heimfans.
Wenn da alle Arme hoch gingen war das schon ein beeindruckendes Bild. Auch die Unmenge an Fahnen wussten zu gefallen. Mit Sicherheit waren es über 20 Capos, die überall in der Kurve platziert wurden und die Stimmung des Haupt-Capos weiter trugen. Auch die 7 Trommler haben einen ordentlichen Job gemacht.
Die Zaunsbeflaggung war brutal, da kann sich Inter eine Scheibe abschneiden, es waren so gut wie keine freien Stellen erkennbar.
Der stille Teilhaber hat sich irgendwann aus dem Staub gemacht und nur für uns Beide ein Bier geholt, weil wir die einzigen Trottel der Louis waren, die das San Siro noch nicht gesehen haben. Mit einem wissenden Nicken haben wir uns zugeprostet. Das Spiel war nicht wirklich interessant und das obwohl Zlatan auch noch für ein paar Minuten ran durfte. Hier war der Star ganz klar das Stadion.
Kleine Nebengeschichte: Der Fahrer und ich waren auf dem Weg zum Bier holen, als das 1:0 für Milan fiel. Die Anderen dachten allerdings, wir hätten den Treffer verpasst und ergingen sich in reinsten Jubelarien über unser Unglück, diese Penner. Aber wir haben den Treffer gesehen und er wurde ohnehin zurück gepfiffen (HAHA).
Der AC gewann die Partie gegen die Fiorentina mit 1:0. Aus der Toskana waren, schätzungsweise, 800-1.000 Fans angereist, eigentlich recht mau für die 300 Kilometer.
Vernommen haben wir die Fans der Fiorentine lediglich in den wenigen Gesangspausen der Curva Sud.
Ich habe mich irgendwann, kurz vor Spielende, mal für ein paar Minuten absentiert, habe die Blicke durchs Stadion schweifen lassen und auf die sieben großartigen Menschen geschaut, die mir dieses irre Wochenende ermöglicht haben. Ich glaube in der deutschen Sprache gibt es keine Worte, die meine Dankbarkeit auch nur annähernd beschreiben können. Hervorgehoben sei an der Stelle Max („ich bin der Fahrer“), der die Orga federführend inne hatte.
Schnell eine Träne aus dem Knopfloch gewischt und zurück zur Truppe.
Das Spiel war zu Ende und ich ging fehl in der Annahme, dass die Rückfahrt zum runterkommen und ausnüchtern genutzt werden würde. Noch auf italienischer Seite wurden Limoncello und sardisches Bier gekauft. Bis auf unseren Fahrer konnte sich keiner dem Suff entziehen. Dazu wurden feinste Wurstwaren mit Mostrich gereicht.
Erfolgreich konnte das Gesprächsniveau bei jedem neuen Thema weiter gesenkt werden, auch hier tat sich Max besonders hervor. Nach einem kurzem Moment der Stille plusterte die Autobesatzung los vor lachen. Nur so viel, es ging um eine Ex-Freundin.
Kurz nach 00:00 Uhr lieferte man meine körperliche Hülle zu Hause ab.
Meine zukünftige Frau empfing mich mit aller Liebe die sie aufbringen konnte: „du stinkst“.
Grazie Ragazzi. (Serge)