Laba diena, wie der Lette sagt.
Ping und ich grüßen heute aus Lettland. Wir haben uns eine kleine Baltikum-Tour/ kleinen Baltikum-Urlaub zusammengestrickt. Begonnen haben wir mit Estland, dass im Vergleich zu den beiden anderen Ländern mit skandinavischem Charme daherkommt. Tallinn, die estnische Hauptstadt wirkt wie ein überdimensionierter Mittelaltermarkt. Besonders die Alexander-Newski-Kathedrale ist ein Highlight der Altstadt. Wo wir schon mal da waren, haben wir direkt einmal Elch probiert. Schmeckt wie eine Mischung aus Reh und Rind. Über das Spiel in Estland, zwischen Harju JK Laagri und JK Nõmme Kalju hüllen wir mal den Mantel des Schweigens. Es handelte sich zwar um ein Erstligaspiel in der Meisteiliiga, mutete aber an wie ein Sonntagsspiel der Landesliga Thüringen. Offensichtlich gibt es in Estland andere Prioritäten. Unser zweites Spiel, um welches es hier gehen soll, war zwar nicht Welten besser aber ein paar erwähnenswerte Dinge gab es dann doch. Allein die Anreise zum Spiel war recht interessant. Generell muss man sich hier in Sachen Verkehr etwas umstellen. Die Spitzengeschwindigkeit, die nur in den seltensten Fällen erlaubt ist, beträgt 110 km/h. Meistens darf man 90 km/h fahren. Wenn die Straße/Autobahn dann mal zweispurig ist, fahren darauf auch noch Radfahrer, oder es sind Fußgänger unterwegs oder man muss eine Vollbremsung machen, weil ein Fußgänger die Straße auf einem Zehbrastreifen, auf der Autobahn kreuzt, schon verrückt. Die Qualität der Straßen ist in etwa mit der Straßenqualität Glauchaus in der pre-Wendezeit vergleichbar. Wir sind etwa 20 Minuten, für 3 € pro Nase, vor Anpfiff ins Stadion rein und waren noch immer die Ersten. Wir haben uns ein Plätzchen unter dem sensationellen Wellblechdach der Haupttribüne gesucht und das Eintreffen der Zuschauer beäugt. Sogar etwa 35-40 Gäste aus Valmiera haben den Weg nach Tulkums gefunden. Zwischen beiden Orten liegen ca. 175 km. Die Gästefans nahmen den mittleren Block auf der Haupttribüne ein und wurden von dem Heimpublikum eingerahmt. In Hälfte zwei haben sie sich, mitsamt ihrer Trommel, die in Hälfte eins nicht zum Einsatz kam, auf den Rasenhang neben der Tribüne verzogen.
Mit Anpfiff habe ich mich auf eine kleine Stadiontour begeben und erhielt, nach meiner Rückkehr, eine Rüge vom einzigen Security. Es gab beim Heimpublikum keine organisierte Stimmung. Obwohl, das stimmt nicht ganz. Eine ältere Dame stimmte, das gesamte Spiel über, Turkums-Schlachtrufe an und die Tribüne folgte. Das fußballerische Niveau ist in etwa mit 4./5. Liga in Deutschland vergleichbar. Es gab viele Zufallsaktionen. Tukums stand vor dem Spiel auf dem 7. Tabellenplatz der Virsliga und Valmiera auf dem 4.
Auf 4.- bzw. 5.-Liganiveau war auch der Stadionsprecher. Dieser musste, nach dem Treffer des Heimteams, erst in seinen Turm rennen und schaltete, viel zu spät, die Tormusik an. Total außer Atem keuchte er den Torschützen und den neuen Spielstand in das Mikrofon, herrlich.
Das Spiel ging hin und her und quasi mit dem Schlusspfiff erzielte das Heimteam den 3:2 Siegtreffer und brachte die Haupttribüne zum „kochen“. Wir freuten uns ebenfalls über den Treffer hatten aber noch mit uns selbst zu tun, weil wir, nach Genuss des Stadion-Knoblauchbrotes, gestunken haben wie die Schweine. Es gibt nämlich im Baltikum keine Stadionwurst sondern hauptsächlich in Knoblauchöl gebratenes und mit Knoblauch bestrichenes Brot. Die Knoblauchwolke, welche den Verkaufswagen umgab, spottete jeder Beschreibung. Vermutlich dachten das die Menschen, die es an diesem Tag mit uns zu tun bekamen, auch. Aber wie sagt man so schön: „when in Rome, do it as the fucking Romans do“. Mit dem Abpfiff haben wir uns wieder auf den Heimweg nach Riga gemacht.
Die nächsten Tage wurden genutzt um eine spektakuläre Moorwanderung im Kemeru-Nationalpark zu unternehmen und das KGB-Gefängnis in Vilnius (Litauen), sowie das Lukiškes-Gefängnis in Vilnius zu besichtigen. Auch ein Spiel in Kaunas stand auf dem Plan. Aber darüber will keiner etwas lesen, glaubt mir.
An unseren letzten beiden Tagen herrschten Unwetter in unserer Riga-Homebase. Es gab Sturmböen und Überschwemmungen. Unser letztes Spiel in Riga wurde von Hagelschauern begleitet. Ping muss mich wirklich lieben, dass sie sich, bei 5 Grad, Sturm und Hagel einen Erstligakick in Lettland anschaut. Anschließend kann man sagen, dass sich die drei Länder in Hinblick auf großen Fußball sicher nicht lohnen aber es ist schon alles irgendwie speziell und liebenswert und auch mal schön, dem großen Fußballzirkus zu entfliehen. Die Länder selbst sind super. Wer Bock auf Geschichte hat ist hier gut aufgehoben. Mein Herz hängt sicher an Estlands freundlichen Einwohnern, die irre gut englisch sprechen. Die Letten und Litauer müssen, für unsere Vorstellung von Freundlichkeit und Kommunikation eine Schippe drauf legen, aber hey…geschenkt. Was alle drei Länder gemein haben, ist die Sympathie zur Ukraine. Überall, wirklich überall hängen Ukraine-Fahnen. An den Bussen und Bahnen in Vilnius wechselt sogar das Fahrtziel mit dem Schriftzug „Vilnius <3 Ukraina“. Ich sage es immer wieder; wir leben in verrückten Zeiten. Das Highlight lieferte dann unser Tourguide der Gefängnis-Tour durch das Lukiškes-Gefängnis in Vilnius. Zunächst beschwerte sich die Gute, dass das Gefängnis, wegen den Vorschriften der Gefangenenunterbringung der EU geschlossen werden musste. Am Ende beklagte sie sich, dass seit dem Beitritt zur EU die Gefangenen in Litauen auch Rechte haben.
Damit soll es jetzt auch gut sein, verdammte EU.
Serge