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02.05.2023, 20:00 Uhr
FC Shirak Gyumri – FC Pjunik Jerewan
Gyumri, Stadion Gyumri
Bardsragujn chumb – 450 Zs. (davon 20 Gäste) – 0:4
geschätzte Lesezeit ca. 8 Minuten


Als wir vor dem Zug standen waren wir doch leicht enttäuscht. Eine ganz moderne Bahn stand da abfahrbereit auf Gleis eins. Die nächste Enttäuschung war, geil nur zwei Wagons und richtig bitter wurde es, als wir feststellten die waren auch fast komplett voll. Schöner Mist. Nichts mit Sechserabteil und Fenster runter machen. Ab auf dem Boden hieß es dafür. Zu allem Überfluss gab's ne Rüge vom Schaffner, in diesem Wagon sollen wir nicht auf dem Boden sitzen, wir mussten in den anderen Wagon, dort war es dann ok für ihn. You are quatsch. Nu denn, nach und nach stiegen an den einzelnen Stationen die Fahrgäste aus und weniger ein. Hieß summa summarum gute 1,5 Stunden hatten wir Sitzplätze zusammen. So schmeckte das gekaufte Bier und die getrockneten Früchte gleich viel besser. Warum der Jungspund dann über was auch immer stürzte und M. unseren Antialkoholiker halb mit armenischen Bier bekippte, konnte er uns und sich selber nicht erklären, da war jedenfalls kurz totenstille im Abteil. Nur M. fluchte leise vor sich hin und wischte sich das Teufelszeug Bier vom Bein. Man muss sie einfach lieb haben. Ist halt ne Tour mit Freunden. Die Zugfahrt ging eine Zeitlang direkt neben der türkischen Grenze entlang. Wenn man sich die Spannungen zwischen den Ländern wegen des Genozid vor Augen hält, ist es für die Menschen, vor allen auf Seiten Armeniens bestimmt nicht so relaxt aus ihren Häusern über die grüne Grenze in die Türkei zuschauen. Denn die türkische Regierung hat den Völkermord immer noch nicht anerkannt, anders als Deutschland, was dies nach jahrelangen Diskussionen mit einer Resolution im Bundestag im Juni 2016 tat. Gjumri begrüßte uns irgendwie kleinstädtisch, obwohl es die zweitgrößte Stadt Armeniens ist. Mit über 170.000 Einwohnern, ist sie seit diesem Jahr auch Partnerstadt von Halle an der Saale. Wahnsinn, wie sowas zustande kommt würde ich gerne mal wissen. Nach einer Begrüßungsrunde mit armenischen Rotwein unseres Herbergsvaters, welcher über seine Gäste sehr erfreut wirkte, liefen wir über den zentralen Platz, zur schwarzen Festung. Im Internet las ich darüber, dass ein Spaziergang dorthin empfohlen wird, auch zu der daneben stehenden Mutter-Armenien-Statue gab es eine Besichtigungsempfehlung. Welche ich wiederum bestätigen kann. Wie immer ein schöner Ausblick von und auf die Denkmäler. Diesmal waren auf dem Weg dorthin mehrere Steine mit Städtenamen, welche im 2. Weltkrieg Bedeutung hatten. Sie waren in kyrillischer Schrift gehalten und wir die fleißigen Übersetzer. Ein Hoch auf mein Schulrussisch. Wenn ich gerade über kyrillisch spreche, die armenische aber auch die georgische Schrift und Sprache ist komplett anders als russisch. Da konnten wir nichts, aber rein gar nichts von ableiten. Armenisch gehört zur Familie der indo-europäischen Sprachen, mal wieder was dazugelernt. Es gibt drei Varianten Altarmenisch, Westarmenisch und Ostarmenisch. Ersteres wird nur noch im kirchlichen Bereich genutzt. Ostarmenisch wird in Armenien und von den armenischen Minderheiten der Länder im Kaukasus, wie in Aserbaidschan, Georgien, Russland und Iran, aber auch in Indien verwendet. Westarmenisch wird hauptsächlich von Exil-Armeniern im Nahen Osten oder der Türkei, in europäischen Ländern und in Übersee gesprochen. Es war interessant zu sehen wenn Verkehrsschilder in drei Sprachen gehalten waren. Armenisch, kyrillisch und lateinisch. Georgisch ist dann als Sprache und Schrift wieder anders, es gehört zur südkaukasischen Sprachfamilie. Man lernt wirklich nicht aus. Die Reisenden mit Fussballhintergrund kratzen ja meist nur an der Oberfläche, manche mehr, manche gar nicht, Kreuzchen machen und weiter. Doch dieses Reisen und über den Tellerrand schauen, sich mit den Ländern, Regionen und Städten auseinander zu setzen, bringt einen so viel mehr. Georgisch besitzt als Literatur- und Kultursprache eine lange Tradition. Die Literatur in georgischer Sprache kann 1.500 Jahre zurückverfolgt werden. Überlieferungen zufolge ist sie sogar älter als das Christentum! Zurück zu unserer kleinen Runde in Gyumri. Die schwarze Festung kann man sich sparen. Sie war abgesperrt und sah nicht so aus, als ob sie touristisch genutzt wird. Genutzt wurde dann ein kleiner Kiosk nähe Stadion. Der Besitzer war sicher komplett überrascht als 6 deutsche Touristen in seinen kleinen Laden rammelten, sein Bierregal in einem wahren Kaufrausch leer fegten und sich zu allem Überfluss noch den selbstgemachten Wein in einer Plastikflasche über die Ladentheke reichen lassen haben. Der Sportliche versuchte sogar noch eine zweite davon zu bekommen. „Mensch Leute wann sitzen wir mal in einem armenischen Stadion, mit armenischen Hauswein?“ Der gute Mann hatte aber nur die eine Rotweinflasche. Was im Nachhinein doch besser war. Lecker ist was anderes. Da Gjumri die Hauptstadt der Provinz Shirak ist, ist somit auch der Vereinsname erklärt. Am Stadion gab es zum ersten Mal auf der Tour, richtige Eintrittskarten, aber kostenlos. Die Besucher bekamen sie in die Hand gedrückt und mussten nichts dafür bezahlen. Selbst zwei Polizisten konnten den kleinen Jungen, der die Tickets verteilte nicht abschütteln. Sie mussten zwei Karten nehmen. Ihr seid halt nicht besser als der Fussballpöbel. Schon an der Mutter-Armenien-Statue konnten wir am Horizont eine sehr große und dunkle Regenfront am Horizont sehen und dachten nur, nah hoffentlich zieht die vorbei. Und als M. und ich unsere Stadionrunde drehten und die Statue hinter der kleinen überdachten Haupttribüne, wo die Anderen sich gleich in weiser Voraussicht ein paar Sitzschalen reservierten, sahen, war die dunkelblaue Wolke verdächtig näher gekommen. Na tolle Wurst, Wechselklamotten lagen im Auto an der georgischen Grenze. Egal jetzt erstmal das Spiel. Shirak Gjumri spielt seit Gründung 1992 in der Bardsragujn chumb, in der Oberliga Armenien. Konnte sie auch 4 mal gewinnen, auch 2 Pokalsiege dürfen sie sich im Briefkopf vermerken. Die Vereinsfarben sind orange-schwarz, Wismut Gera lässt grüßen, find ich cool. Als M. und ich auf unserer Runde dann am kleinen Fanblock von Shirak ankamen, fragte ich, ob es ok wäre ein paar Bilder zu machen. Was freundlich bejaht wurde. Es wirkte wie ein kleiner Fanclub. Kinder, ältere Männer und Jugendliche. Paar Pauken, paar kleine Schwenkfahnen, ne gedruckte Zaunfahne am Zaun fertig. Natürlich wurde ihrerseits gefragt, woher wir sind? Dynamo Dresden war ihnen auch ein Begriff. So muss das sein! Ob das den Lilaweißen aus dem Gebirge auch so geht. Wahrscheinlich nicht und das zurecht. Mir wurde dann noch ein Vereins-Nikki von einem Mitglied der Black Panthers geschenkt, sehr nette Geste. Ihr Name leitet sich von der Bagratuni-Dynasty ab. Es war eine armenische Königsdynastie, welche ihren Herrschaftsbereich auch in der Provinz Shirak hatte. Zu unserer Überraschung kam auch noch ein Bus Gäste an und bezog direkt in den neben uns liegenden Gästeblock Stellung. Interessanterweise war einer der russischen Hopper, welche uns gestern Abend nachdem Spiel beim FC Noah ansprachen unter ihnen. Kurz ab gegrüßt, wollte ich natürlich gern Bilder machen. War auch ok. Der Capo fragte mich, ob ich Groundhopper sei, da ich mich selber nicht so bezeichne, mir aber auf die schnelle nicht die Übersetzung von Reisender mit Fussballhintergrund einfiel, sagte ich nur, „a little bit“, da huschte uns dreien ein Grinsen übers Gesicht. Das Groundhopping bringt schon interessante Leute hervor. Manche von ihnen machen, wie sie selbst behaupten 50 Länder in 7 Jahren. Normale Menschen würden 50 Länder bereisen, aber so ist er halt, der Groundhopper. Dann wird die Futbology-App malträtiert und da stehen in 2/3 der gemachten Länder 1 oder 2 Spiele in der Liste. Wenn man sonst nichts im Leben hat gerne. Da geh ich lieber Angeln. Drei Zaunfahnen hatten die Jungs vom Sector 18 - FC Pyunik Yerevan Boys dabei. Auf ihrem Twitter Account kann man sehen, dass sie öfters und gern Pyrotechnik benutzen und auch schon mal eine kleine Blockfahne zeigen. Das wirkt schon organisiert. Ob die 18 politisch ist, kann ich nicht sagen. Auf allen Bilder die ich gesehen hatte, war keine rechte Symbolik zu erkennen. Deswegen spekulier ich auch nicht rum. Nachdem Anpfiff kam die Regenwolke aber nun immer näher und ich ging lieber schon mal auf die Haupttribüne zu den Anderen. Mitte der ersten Halbzeit gings dann los, sintflutartige Regenfälle, welche bis zum Abpfiff anhielten und uns zwangen ein paar Locals zu fragen, ob sie uns helfen können und zwei Taxen für uns organisieren würden. Die Beiden kümmerten sich dann auch sehr Pflichtbewusst und wir verdanken den Beiden unsere trockenen Ärsche. Alle Fans die noch nicht unterm Dach saßen oder standen, spurteten nun los. Nur die 20 Gäste verharrten tapfer in ihrem Block und sangen durch. Durch waren definitiv ihre Klamotten, ich denke nach 5 Minuten waren sie pitschnass. Wir deutschen Weicheier würden dann von oldschool Verhältnissen schwadronieren und uns über die modernen Stadien aufregen. Wir wärmten uns an den mitgebrachten Dosen des Ararat Bieres und der Flasche selbstgemachten Rotweins. Zogen die Kapuzen hoch und hofften, dass die zwei Locals die Taxen organisieren können. Das war wirklich unser Hauptthema während des Spieles. Heute Nachmittag in Jerewan wurde noch die Jogginghose hochgekrempelt und jetzt echt Land unter. Für morgen wurden in Armenien dann 2°C und Schneefall gemeldet. Na das wär's noch, mit nassen Klamotten im Schnee rumlaufen. Ohne Scheiß, 100m in dem Regen und wir wären durch. Die Gäste waren auf dem Feld der Heimmannschaft in allen Belangen überlegen und gewannen locker 4:0. Einen Blinker konnten wir durch die Bindfäden von Regen auch erkennen. Daumen nach oben, sie blieben das ganze Spiel draußen und sangen für ihren Verein. Abpfiff und die zwei Locals lieferten. Wir merkten richtig, dass sie sich freuten uns helfen zu können. Unser Dankeschön dafür kam auch von ganzem Herzen. Im ausgemachten Restaurant trafen wir uns dann alle wieder und schnauften erstmal durch. Wie saßen gemütlich zusammen und das trocken, die Übersetzer App glühte, der Kellner war auf zack und wir waren zufrieden. Als Abschluss dieses interessanten Tages gab es noch einen 5 Jahre alten armenischen Cognac. Schön auf der Zunge rollen und etwas länger im Mundraum gelassen, so wie es im Internet stand, war er sehr lecker. Als wir gegen 24Uhr zum Hotel aufbrachen, war auch endlich der Regen verschwunden. (Der Kulturbeauftragte)



Eine neue Ausgabe des "Abhaun!" ist erschienen. Nach 11 Jahren geht die Abhaun-Reihe mit der 6. Ausgabe weiter. Ein Klick auf das Bild bringt euch zu den weiteren Informationen.





Zugfahrt nach Gyumri

armenischer Begrüßungswein beim Herbergsvater

Gyumri

Rathaus Gyumri

Erlöserkirche

Mutter-Armenien-Statue

Geschenk der Black Panthers

5 Jahre alter armenischer Cognac

   


Weitere Begegnungen zwischen diesen zwei Teams:
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Author: kopane.de

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