Einmal kurz nicht aufgepasst, die Zeit vertrödelt und zack sind sie da: die Wochen des 9-Euro-Tickets und der Hier-wird-sonst-wenig-bis-gar-kein-oder-bald-nie-wieder-Fußball-gespielt-Wochenenden. Und ich meine, dass es bald besser nicht passen könnte. Nahezu kostenfreier Nahverkehr mit dem 9-Euro-Ticket und die angesetzten Spiele in den anvisierten Stadien. Als hätten die Spielplanmacher und -organisatoren es schon vorher gewusst. Da nehme ich die bevorstehenden Zugfahrten mit mehr als überfüllten Zügen locker in Kauf. Es ist nicht das erste mal, dass ich in einem Zug stehen werde und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Irgendwas ist schließlich immer, dass plötzlich alle mit ein und dem selben Zug (egal ob Nah- oder Fernverkehr) fahren müssen. Weihnachten, Pfingsten, Ferien, Feiertage an sich, Bundesgartenschau, Bundesliga und jetzt halt mal das 9-Euro-Ticket. Bedenklich finde ich aber, dass viele zu schnell vergessen. Nämlich, dass der ÖPNV in Deutschland weitaus besser ausgebaut sein könnte. Da heißt es jetzt nach Pfingsten plötzlich, dass die Züge mehr als überfüllt gewesen wären. Und das das 9-Euro-Ticket einen gehörigen Anteil daran hätte. Aha:
"Das #9EuroTicket sorgte an Pfingsten für Chaos"
Das Pfingstchaos der vergangenen 10 Jahre (via @TspCheckpoint): pic.twitter.com/RFVNFAikRk
— Ann-Kathrin Hipp (@ak_hipp) June 7, 2022
Ich gebe den Tipp ab, dass sich in einem Monat alles wieder eingepegelt hat und die Züge wieder ein normales Maß an Auslastung erreicht haben. Die passionierten Zugfahrer und Sparfüchse werden die Zugfahrten besser auswählen und die weniger passionierten Zugfahrer und weniger als Sparfuchs veranlagten Menschen werden alsbald keinen Bock mehr auf die überfüllten Züge haben und wieder auf das Auto umsteigen. Einerseits, weil sie dann gefühlt flexibler sind und auf der anderen Seite ihre Mitmenschen in den Zügen nicht mehr aus nächster Nähe riechen müssen. Und dies regelt dann mal nicht der Markt, sondern die menschliche Bequemlichkeit und Komfortzone. Und wir, die möglichst billig zum Fußball irgendwo im Land fahren wollen, sagen laut danke und schleppen uns mit dem 9-Euro-Ticket quer durchs Land. Ich freue mich schon auf den Urlaub. Diese drei Wochen, wenn ich (theoretisch) jeden Tag Zeit für Fußball habe und (theoretisch) jeden Tag irgendwo in Deutschland ein Testspiel, ein Pokalspiel oder ein Ligaspiel angesetzt sein wird. Besser kann es doch nicht kommen. Aber wie bereits in Klammern gesetzt: theoretisch. Ich bin gespannt, was die Spielplangestalter und -götter für mich bereithalten.
Auch wenn es verstärkt zu Zugauslastungen kommt, welche jenseits von Gut und Böse sind, so zeigt es doch, dass es einen günstigen Nahverkehr braucht und die überfüllten Züge nur die Konsequenz des Kaputtsparen der Deutschen Bahn sind.
Jedes Kreuz bedeutet den Abbau einer #Bahn-Strecke seit 1994.
Über 6.000 Bahnkilometer stillgelegt, hunderte Strecken eingestellt, Regionen abgehängt. Die Politik wollte privatisieren & an die Börse bringen. Der schlechte Zustand heute ist Folge dieser Politik. #9EuroTicket /1 pic.twitter.com/77Z2vG3iJh — Victor Perli (@victorperli) June 4, 2022
Lasst uns doch die Deutsche Bahn wieder komplett verstaatlichen und den ÖPNV nahezu kostenlos gestalten. Der Fernverkehr kann in der Angebotspalette ja so bleiben wie er ist. Also preislich gesehen. Denn auch ich werde wohl im Urlaub eher mit dem ICE oder IC zum Zielort fahren und von dort aus meine Ausflüge mit dem Nahverkehr starten, als dass ich mit Gepäck in volle Züge stelle oder gar nicht erst in diese reinkomme. Den Aufpreis für eine Fahrt im Fernverkehr bezahle ich gern. Denn durch das 9-Euro-Ticket spare ich ja an anderer Stelle wieder. Ich vertrete da auch ganz klar die Haltung, dass der ÖPNV (inklusive der Regionalzüge) bestenfalls kostenfrei sein sollte. Und wer schneller und komfortabler ans Ziel kommen will, bezahlt dann eben den Aufpreis. Oder anders formuliert: Grundversorgung kostengünstig bis kostenlos und alles darüber hinaus kostet dann entsprechend. Wäre auch bei Wohnungen eine gute Maßnahme. Von staatlicher Seite wird ein Grundangebot an Wohnungen gehalten, welche ungefähr die gleiche Ausstattung, Größe und Mietkosten haben. Wien macht es vor. Dabei wird noch nach Anzahl der im Haushalt lebenden die Wohnungsgröße gestaffelt verteilt. Und wer es schicker und in besserer Wohnlage mag und es sich auch leisten kann, mietet bei privaten Vermietern oder den Wohnungsgesellschaften wie Vonovia usw.
Weiter im Text mit Fußball. Kurz bevor ich an diesem 04. Juni 2022 das Haus verließ, begann es zu regnen und auf dem Weg zur Straßenbahn war ich bereits ordentlich nass. Ich zweifelte kurz am Wetterbericht, welcher eher sonniges Wetter als regnerisches Wetter voraussagte. Nun ja, ich ging davon aus, dass im Zug die Kleidung wieder trocknen würde. Doch traf ich hier eine falsche Annahme. Denn der Zug war auf „Wir fahren durch die Wüste Sahara und müssen deswegen ordentlich runterkühlen.“ eingestellt und ich fror bis Elsterwerda zunächst ordentlich. Wieso Mensch auf die Idee kommt, am Morgen früh um fünf Uhr, die Temperatur im Zug auf Kühlschrank einzustellen, kann ich mir persönlich nicht erklären. Und so gut gefüllt war der Zug auch noch nicht, dass die schiere Anzahl an Reisenden die Temperatur nach oben hätte regeln können.
Persönlich fand ich es wieder sehr speziell, was ich zwischen vier Uhr und fünf Uhr am Morgen in der Straßenbahn oder an den Haltestellen für Menschen angetroffen habe. Diese krude Mischung aus feierwütigen, betrunkenen Studenten und jüngeren Menschen bzw. mittelalte Menschen und Schlagerpartybesuchern, die alle mit ihrer Lautstärke und holen, alkoholgeschwängerten Gelaber alle unterhalten müssen und sich mit anderen Menschen vermischen, welche gerade auf dem Weg zur Arbeit sind. Oder mit anderen, welche mit ihren Rollkoffern eine herrliche Sinfonie des Krachs auf dem Trottoir spielen und auf dem Weg zum Zug sind. Vom Geräuschpegel her mit einer Gruppe Orks zu vergleichen, welche gerade irgendwo einfallen und plündern will. Und weil das alles noch nicht genug war, stand von wenigen beachtet, ein Paar, welches sich wohl schon seit längerer Zeit das Hirn ordentlich weggemetht hat. Diese Zuckungen, ihre Gesichter und Körperhaltung. Ich wähnte mich komplett im falschen Film. Und finde es immer wieder schlimm, wie viele Teile der Gesellschaft ihren wöchentlichen Drogenkonsum (ja, auch Alkohol) brauchen, damit sie noch irgendwie funktionieren. Ich stand halt da und verstand es einfach nicht. Einfach nicht meine Welt. Straight Egde!
Nicht egal, aber nochmal heißt es: weiter im Text. Berlin. Am Berliner Hauptbahnhof schlug dann die Stunde der Wahrheit für uns. Denn wir konnten absolut nicht abschätzen, wie voll der Zug gen Wismar über Berlin sein würde. Denn startete dieser schon in Cottbus. Am Bahnsteig angekommen standen bereits die Horden mit Koffern und Fahrrädern und scharrten mit den Hufen. Und als der Zug gen Wismar einfuhr, begann ein reges Treiben auf dem Bahnsteig. Da staunte ich dann doch, dass nicht alle sofort an die Türen stürzten und wenigstens noch die wenigen Reisenden, welche in Berlin aussteigen wollten, aussteigen ließen. Doch mussten wir uns danach nahezu in de Zug quetschen. Es fehlten nur noch ein paar Bedienstete der Deutschen Bahn, welche von außen die Menschen in den Zug gedrückt hätten. Also so, wie es manchmal aus Japan zu sehen ist. Doch einige konnten nicht einsteigen und gaben von außen die Anweisung, doch mal durch zu rücken, da ja noch genügend Platz im unteren Abteil sei. Doch weit gefehlt. Denn sie sahen von außen nicht die Fahrräder. So dauerte es dann doch einen längeren Moment, bis der Zug losfuhr und in seinem Inneren entwickelte sich quasi eine dem Blob gleiche Gemeinschaft. Jede Ecke wurde ausgefüllt und quasi ein Mensch von den anderen Menschen umschlungen. Die stoische Ruhe der Reisenden war hierbei wirklich überraschend. Kein Gemecker, kein Geraune – alle ergaben sich in diesem Moment der Situation. Zum Glück schafften wir es irgendwie in die obere Etage des Zuges, so dass wir doch noch genug Platz hatten um luftig zu stehen. Und nebenbei die Ultrauniform mancher Reisender mit dem Ziel Schwerin beglotzen konnten. Ein „Alpha Industries“-Nicki oder ein „Elesse“-Fischerhut schreien ja förmlich danach, von den Hansa-Hotten angequatscht zu werden. War schon unterhaltsam im Zug. Zumal sich einer auch noch irgendwelche Pyro-Werbevideos auf seinem Handy anschaute. Ich kann ja verstehen, wenn Pyro-Videos aus Stadien auf dem Handy angeschaut werden. Aber Werbevideos? Echt jetzt? Komische Blüten, welche die Fußballkultur so treibt. So von der Seitenlinie aus betrachtet.
Angekommen in der Stadt Schwerin, seines Zeichen die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern, ging es dann zu Fuß die paar Kilometer quer durch die Altstadt bis zum Sportplatz Paulshöhe. Eines kann Schwerin dabei auf jeden Fall: diese Stadt weiß zu beeindrucken und versprüht einen gewissen Charme. Gerade die Lage an den Seen macht die rund 95.000 Einwohner zählende Stadt lebenswert. Dazu noch die ganzen kulturellen Bauten wie das Staatstheater, die Freilichtbühne, das Staatliche Museum, die kleine und feine Altstadt, das Schloss auf seiner Insel – hier gibt es eine Menge zu begutachten und genug Potential, einen Tag gemütlich und ohne Stress vergehen zu lassen. Das werden sich sicherlich auch unzählige Touristen im Jahr denken, welche die Stadt besuchen kommen. Für einen Besuch Schwerins braucht es keinen Fußball. Die Stadt allein reicht dafür. Mir hatte es hier gefallen. Gerne wieder. Und eines hat Schwerin mit Dresden gemein: den ein oder anderen Schildbürgerstreich, wodurch es auch Schwerin zu "Realer Irrsinn" von Extra3 geschafft hat.
Da wir aber nicht allzu viel Zeit hatten, fiel die Stadtbesichtigung dann doch kürzer aus, als es mir lieb war. Denn 14 Uhr sollte der Ball ein letztes Mal bei der ersten Mannschaft der SG Dynamo Schwerin e.V. auf dem Sportplatz Paulshöhe rollen. Und dieses Ereignis, plus der mögliche Aufstieg in die NOFV Oberliga Staffel Nord, zog natürlich die Massen an. Waren es beim Spielbesuch vom Kulturbeauftragten im Jahr 2015 noch (nur) 205 Zuschauer und beim Spielbesuch vom Kostverächter sah sogar nur 80 Zuschauern in der Landesliga, so waren es an diesem Tag sage und schreibe 2.267 Zuschauer. Wobei halt die Kombination aus möglichen Aufstieg und letztem Spiel natürlich die Massen mobilisierte und viele Auswärtige die Gunst der Stunde nutzen wollten. Für mich war es mein erstes Spiel von Dynamo Schwerin, abgesehen vom Hallenturnier in Eisenhütenstadt im Jahr 2020.
Wie die SG Dynamo Dresden e.V., wurde auch die SG Dynamo Schwerin e.V. im Jahr 1953 gegründet und zählte damals ebenso zu den Sicherheitsorganen der DDR. Natürlich ist die Geschichte der SG Dynamo nicht lückenlos, denn im Jahr 2003 erfolgte die Neugründung mit altem Namen. Dabei stellt die „neue“ SG Dynamo Schwerin denn Bezug zur historischen SG Dynamo Schwerin her, welche in der Wendezeit in PSV Schwerin umbenannt wurde und letztlich in den FC Mecklenburg Schwerin e.V. integriert wurde. Der Höhepunkt der Geschichte der SG Dynamo Schwerin stellt sicherlich das Erreichen des FDGB-Pokalfinale gegen die SG Dynamo Dresden in der Saison 198/1990 dar. Auf dem Weg dahin wurden unter anderem die Teams vom 1. FC Magdeburg und Lokomotive Leipzig aus dem Pokal geschossen. Für einen Finalsieg reichte es gegen die SGD aus Dresden aber nicht. Nichtsdestotrotz waren die Schweriner aber für den Europapokal der Pokalsieger qualifiziert und spielten in der Saison 1990/1991 als PSV Schwerin gegen den FK Austria Wien. Aber leider wurde das Heimspiel nicht auf der Paulshöhe, sondern im Rostocker Ostseestadion ausgetragen.
Nach der Neugründung der SG Dynamo Schwerin folgten drei Jahre mit Aufstiegen aus der Kreisliga, über die Bezirksklasse und Bezirksliga in die Landesliga West. In dieser Liga verweilten die Schweriner 14 Jahre. In der Saison 2020/21 wurde der Aufstieg in die Verbandsliga Mecklenburg-Vorpommern geschafft und es folgte der direkte Durchmarsch in die Oberliga Nordost, welche in der Saison 2022/2023 erstmals bestritten wird und es zum Derby mit dem FC Mecklenburg Schwerin e.V. kommt. Wir wünschen dem Verein dafür viel Erfolg für die kommende Spielzeit.
Der Star war an diesem Tag allerdings der Sportplatz Paulshöhe. Wobei es bei dem Ausbau auch schon als Stadion durchgehen kann. In diesem Jahr feiert die Pauslhöhe ihren 100. Geburtstag. Denn eröffnet wurde dieser Sportplatz am 20. August 1922. Und soll quasi im 100. Jahr des Bestehens abgerissen werden. Skandal.
Der Hauptgrund hierbei ist sicherlich, dass das Land, auf welchem der Sportplatz liegt, als Bauland verkauft werden soll, um den Schuldenstand der Stadt Schwerin zu senken.Im Jahr 2015 verpflichtete sich die Stadt in einer Konsolidierungsvereinbarung zur strengen Umsetzung des Haushaltssicherungskonzepts. Darauf hin wurden durch die Stadt im Jahr 2018 alle Mietverträge gekündigt. Das Ziel ist klar: mit der 33.000m² großen Fläche könnte mit einem Verkaufspreis von 280€ pro Quadratmeter eine Summe von bis zu 924.000€ in die Stadtkasse fließen. Eventuell sogar noch mehr, wenn der Preis noch ein wenig angehoben wird. Für den Verlust der Paulshöhe, kann/darf/muss die SG Dynamo in den Sportpark Lankow umziehen, welcher Luftlinie rund 6 Kilometer entfernt im Nordwesten der Stadt liegt. Diese Anlage hat auch eine kleine Tribüne, doch scheinbar ist für Dynamo bisher nur der 5. Nebenplatz dieser Anlage reserviert. Anschauen könnt ihr euch diesen Platz bei europlan-online.de. Schaut aber nicht zu genau hin. Es besteht Kotzgefahr. Nur so als Spoiler.
Weiteres rund um die Paulshöhe könnt ihr euch auf Facebook, bei paulshoehe.com und paulshöhe-schwerin.de anschauen und lesen.
Ich komme zum Spiel, welches aus meiner Sicht nicht so spannend war, denn ein Punnkt reichte Dynamo für den Aufstieg. Und wie ihr es oben am Ergebnis sehen könnt, wurde mit dem 1:0 auch bestens für den Aufstieg geliefert. Spannend ist aber was anderes. Sommerfußball halt.
Das Drumherum war hier und heute entscheidender. Nach einer kleinen Runde ums Stadion und kaum auf der Gegengerade zu den anderen gesetzt hieß es (wie bereits lange erwartet): „Woher kommt ihr?“
Zwei Hansa-Hotten, scheinbar das Team "Inkassao Hansa Moskau", hatten uns ausgemacht und waren wohl von der Hansaszene auf der großen Hintertortribüne beauftragt hier und heute ordentlich die Hansa-Hopperkasse zu füllen.
„Seid ihr aus Schwerin.“
„Nein, aus Leipzig.“ antwortet ein bekannter Leipziger.
„Red Bull?“
„Nein, Chemie.“
„Und ihr, auch Leipziger?“
„Nein, aus Dresden.“
„Dynamo, oder was?“
„Ja.“
„Bist du auch das eine Spiel in Rostock dabei gewesen, wo es so geknallt hat.“
„Nein.“
„Okay, ihr habt jetzt drei Möglichkeiten. Weil wir wollen euch hier nicht. Entweder ihr geht freiwillig, oder wir dreschen euch raus. Oder ihr drückt ein paar Euro ab.“
„Wie viel?“
„Einen 5er für jeden. Also 20 Euro für euch vier.“
„Geht los.“
„Kennt ihr eigentlich den Lehmann?“
„Ja.“
„Sagt dem mal ´nen schönen Gruß. Der soll das mit dem Gemüse lassen. Wir sind rechtsradikal.“
„Aha.“
Persönlich muss ich sagen, dass ich den habe nicht kommen sehen. Zumindest erschließt sich mir der Zusammenhang zwischen „lass das mit dem Gemüse“ und „Wir sind rechtsradikal“ nicht. Gerade ein strammer Deutscher sollte doch deutsches Gemüse von deutschen Landwirten essen, damit die deutsche Landwirtschaft nicht zu Grunde geht. Und Obst. Obst ist ganz wichitg. Also los, ihr Deutschen, kauft deutsche Bananen und Zitronen!
Wobei das aber nicht für alle Rostocker gilt. Es gilt nur für die zwei Typen in dieser Situation. Ich wiederhole: Nur für die beiden!
Vermutlich war es bei den beiden Blau-Weiße aber die Sonne und der Alkohol, welcher die Rechenleistung im Kopf schon ein wenig beeinträchtigte. Oder die nötigen Nährstoffe aus pflanzlichen Lebensmitteln. Denn:
„Kommt jetzt. Geld raus. Männer zahlen 10 Euro.“
„Also vier Personen 20€?“, fragte der Leipziger.
„Ja. Und wenn noch einer vorbei kommt, sagt ihr, dass ihr schon bezahlt habt.“
Nun müssten aber 35€ den Besitzer gewechselt haben. Denn drei Kerle + eine Frau ergibt 10€x3+5€ = 35€. Den Rabatt nahmen wir dankend mit.
Hansa gestern ordentlich kassiert
pic.twitter.com/jkL2rVlMRX— GROUNDHOPPING MEMES (@hoppingmemes) June 5, 2022
Sehr gut hätte ich es auch gefunden, wenn beide eine Möwe an der Leine mit sich geführt hätten, welche ein Hansaketcchen um den Hals getragen und die ganze Zeit "Sachsen raus!" zum Besten gegeben hätte. Oder wenn sie wenigestens diese Aufkleber verteilt hätten. Ich meine, dass das der beste Aufkleber aus der Hansa-Szene ist.
Persönlich ist es mir egal, ob ich irgendwo in die Hopperkasse Betrag X einzahle. Denn, so ehrlich bin ich, müssen die Kurvenshows ja auch irgendwie finanziert sein und wenn ich als Auswärtiger irgendwo hinkomme, habe ich ja auch was zum Anschauen. Und auch ist es ein ungeschriebenes Gesetzt, eine Regel, welche wir kennen und auch akzeptieren. Aus welchen Grund dann aber so ein Brimborium darum gemacht wird und lang und breit die eigene Härte, die krasse Lebensweise zur Schau gestellt wird, verstehe ich nicht. Es reicht doch mit dem Klingelbeutel herumzulaufen und alle Auswärtigen mit „Grüße, du bist nicht von hier. Betrag X hauste jetzt in die Kasse und dann schönes Spiel. Der Heimblock ist für dich tabu.“ Stattdessen hatte ich die ganze Zeit Angst. Angst, dass mir gleich alle Erwerbsregeln der Ferengi vorgetragen werden. Alle 285. Und ich diese auswendig lernen und aufsagen müsste. Zumindest die 9. Erwerbsregel passt: "Instinkt plus günstige Gelegenheit ergibt Profit."
Auf der anderen Seite kann sich dann aber nicht so zur Schau gestellt werden und es erzählt auch niemand herum, wie krass und krank zum Beispiel Hansa ist. Oder beliebige andere Szenen. Diese ganze Hudelei dient doch nur dem öffentlichen Bild. Klappern gehört halt zum Handwerk. Am Ende kochen aber alle die gleiche Suppe auch nur mit Wasser. Aber Hans und Peter können am Abend schön allen erzählen, wie hart sie waren, andere abgezogen oder rausgeschmissen haben. Nur mit 30 oder 40 Mann in der Hinterhand kann das halt jeder. Und da liegt des Pudels Kern: Die Stärke der Schwachen liegt in ihrer Masse. Oder um es mit der 25. Ferengi-Erwerbsregel zu sagen: „Angst ist ein guter Geschäftspartner.“
Das ist halt alles nur ein großes Spiel. Nicht mehr und nicht weniger.
Das Drumherum war ja wichtig. Die Hopperkasse nur eine Randnotiz. Die Anzahl der Bengalos, welche hier heute gezündet wurden, habe ich nicht gezählt. Ich meine aber, dass es schon im oberen zweistelligen Bereich lag. Dazu eine Choreo bei den Schweriner Hansaleuten, welche aus einer Blockfahne mit einem kurzen zeitlichen Abriss zur SG Dynamo Schwerin oder der Paulshöhe bestand. Spruchbänder, immer mal ein, zwei oder paar mehr Bengalos, ein wenig Support und Doppelhalter. War schon gut, was sie so aufzogen. Komisch war, als plötzlich am Gartenzaun hinter mir eine Frau stand und von der Hansapyro ein Video und Bilder machte. Eventuell war es ja eine Anwohnerin, welche sich bei der Stadt beschweren will und froh ist, dass der Fußballpöbel ihren Nachmittag bald nicht mehr versaut. Dazu meinte der Stadionsprecher aber in der Halbzeit, dass bis Ende Juni noch ein wenig auf dem Sportplatz los ist und die Nachbarn noch keine Ruhe haben werden.
Bei den Dynamos auch ein wenig Support und Spruchbänder und in der zweiten Halbzeit dann auch Pyro. Und vor allem zum Abpfiff, als das Rasenviereck mit Fackeln quasi eingenebelt wurde. Fand ich gut, wie sich niemand der normale Zuschauer daran störte, als zwischen ihnen auf einmal einer mit schwarzer Sturmhaube stand und auszählte, wie viele wohl auf den Zaun können. Ganz normal hier. Was mir allerdings auffiel war, dass es zwischen dem Dynamoblock und dem Hansablock kaum Berührungspunkte gab. Bis auf Pyro und ein Spruchband "Nach Lankow nur mit...". Mein Eindruck war, dass bei Hansa eher Schwerin und Gesamtbild im Vordergrund standen, als einen Bezug zu Dynamo herzustellen. Bis auf einzelne Dynamo-Rufe. Was aber irgendwie auch komisch sein muss, wenn plötzlich das Wort „Scheiß“ vor Dynamo fehlt.
Weiterhin wusste ich gar nicht, dass Hansa so pro Umwelt eingestellt ist, dass diese mit dem Skateboard in den Sportpark Lankow fahren. Das ist ja regelrecht grün. Sechs Kilometer mit dem Skateboard. Ich ziehe den Hut. Aber Spaß beiseite. Das Spruchband könnten auch Dynamos gemacht haben. In diesem Bundesland ist ja eh alles Hansa. Der Dynamofotograf klärte uns auf, dass neben dem Sportpark ein Skaterpark ist und deswegen das Skateboard auf dem Spruchband ins Spiel gebracht wurde.
Alles in allem kann ich sagen, und damit stelle ich jetzt den Bezug zum Paralelluniversum her, dass das Publikum in der Paulshöhe fast schon ein Unikum ist und im krassen Kontrast zur Stadt steht. In der Altstadt regiert Schickimicki, Glanz und Gloria und in der Paulshöhe ein geiler Fußballpöbel. Der Kostverächter sah sich zu folgender Aussage veranlasst: „Wenn die noch alle Jeansjacke und Schnauzer tragen würden, wären wir wieder in der DDR.“
Mir hatte es gefallen. Und leider kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Szene zum Sportpark Lankow passt. In dieser sterilen Klitsche wird wohl ein Stück Authentizität der Dynamos verloren gehen. Dynamo und die Paulshöhe – das passt wie die bekannte Faust aufs Auge oder Topf auf Deckel. Da stimmt das Gesamtbild und es ist schlicht und einfach echt und spürbar. Fußball in seiner Reinform ohne Schickimicki. Schade, dass die Paulshöhe nach 100 Jahren in die Geschichte eingeht. Mach es gut Paulshöhe – Ruhe in Frieden!
Nach dem Spiel ging es nach einem kleinen Rundgang am Wasser entlang zurück in die Stadt und anschließend zum Bahnhof. Und gerade als der Leipziger und ich vor einem Laden standen, wurden wir von der Seite angequatscht. Unter andere waren da die zwei dabei, welche uns im Stadion ansprachen:
„Da sind die Nürnberger.“
„…???…“
„Scheiß Nürnberg.“ „Wesis? Wo sind Nürnberger.“ „Na hier, dass sind die Nürnberger!“
„Wir sind immer noch ein Leipziger und ein Dresdner.“
„Das ist auch nicht besser.“
„Aha.“
Kann es sein, dass Hansa letzte Saison eine von Nürnberg vor den Turm bekommen hat, dass sie plötzlich überall Glubberer sehen? Oder war es doch die Sonne in Verbindung mit Alkohol, welche nicht ganz so gut zusammen passen? Ich bin mir da gerade unsicher. Auf jeden Fall hatte es für sie noch gereicht irgendwelche Lokisten von Bahnsteig zu Bahnsteig zu bepöbeln.
Setze ich mal einen Schlusspunkt. Die Rückfahrt verlief in relativ leeren Zügen ohne besondere Ereignisse und irgendwann war ich mitten in der Nacht zu Hause. Insgesamt 23 Stunden wach für dieses eine Spiel. Geht schon mal. Dank 9-Euro-Ticket war es ja kostengünstig. (goju)