Auf Reisen führt man ja immer dieselben Gespräche. Zwar immer in den unterschiedlichsten Varianten und Dramaturgien, aber der Grundkontext bleibt immer gleich. So durfte ich also des Öfteren Zeuge einer Unterhaltung zwischen dem Kulturbeauftragten und dem stillen Teilhaber werden, die zum Inhalt hatte, dass der stille Teilhaber, wegen seiner Heimatstadt Riesa, schon oft das Ernst-Grube-Stadion besucht hatte und dem Kulturbeauftragten, der dies, aus mannigfaltigen Gründen (er nennt es seinen ostdeutschen Bökelberg) nie geschafft hatte. Müßig zu erwähnen, dass derartige „Unterhaltungen“ sehr oft in wüsten Beleidigungsarien endeten. Die Aussage des Kulturbeauftragten blieb mir dabei immer im Hinterkopf: „Wenn da irgendwann mal ein A-Jugend-Spiel stattfindet, nehme ich mir Urlaub“. Nun ja, das besagte A-Jugend-Spiel fand, bis zum 08.06.24 leider nie statt und so musste wir warten, bis ein Überzeugungstäter diese Perle für ein Spiel zu Leben erweckte.
Auch ich habe es leider nie geschafft, meinen Arsch in das Ernst-Grube-Stadion zu schaffen und so hatte ich, wie sehr viele andere Fußballtouristen, einfach nur Glück, das Massa ein Spiel in diesem altehrwürdigen Stadion auf die Beine gestellt hat.
Für mich war dieses Spiel gleich ein doppeltes Highlight. Zum einen aus den oben angeführten Gründen, zum anderen, weil ich das erste Mal meinen 4 Monate alten Sohn dabeihatte und sein erstes Spiel das vermutlich letzte Spiel im Ernst-Grube-Stadion sein würde.
Wir reisten bereits freitags nach Elbflorenz da mit neuem Familien-Set-up andere Anreisebedingungen herrschten. Es muss mehr mitgeschleppt werden und mehrere Pausen müssen eingeplant werden. Eine Pause führte uns zu einem Autohof nach Zwickau, in dem der Kulturbeauftragte und ich, wie Kinder im Intershop, auf Einkaufstour gingen. Nur waren nicht Pfirsiche und Westschokolade im Korb, sondern Freiberger, Wernesgrüner und Feldschlößchen.
Der Samstagmorgen begann früh und wir machten uns auf die 55 km lange Fahrt nach Riesa. Das Wetter war herrlich und wir nahmen die romantische Route entlang der Elbe. Wir hatten Tränen vor lachen in den Augen, als wir bemerkten, dass in Sachsen, im Gegensatz zu Orten im Westen, die Wahlplakate der AfD unten hängen und die der Grünen oben. Das soll es dann aber auch zum Thema Politik gewesen sein.
Ein Parkplatz in Stadionnähe wurde als Treffpunkt auserkoren. Ob der Besonderheit des Spielortes waren wir diesmal natürlich in größerer Zahl anwesend. Man könnte einige unserer Herrschaften durchaus als Rosinenpicker bezeichnen. Unsere Reisegruppe wurde durch den Sportlichen, Jaqueline, Dr. Duvell, den Südbrandenburger, Winnie Pooh, Mutz Junior und den Georgier komplettiert. Nach einem Sarajevsko gings mit Kind und Kegel Richtung Stadion. Am Eingang trafen wir sogar einen unserer beiden Stammleser (Gruß an Pasa).
Nachdem wir die Stadiontore des 1955 eingeweihten EGS passiert hatten, wussten wir nicht, wo wir zuerst hinschauen sollten. Natürlich fiel der Blick sofort auf die herrliche Haupttribüne, die, weil leider baufällig, nicht freigegeben werden konnte, dann wurde die alte Anzeigentafel über dem Eingangsbereich begutachtet und die zugewachsenen Ränge haben das Bild rund gemacht. Machen wir uns nichts vor, dieses Spiel bzw. dieses Stadion war/ist der fleischgewordene Hoppertraum. Der Kulturbeauftragte war derweil außer sich vor Freude, als er feststellte, dass Landskron ausgeschenkt wurde.
Ein netter Security half uns mit dem Kinderwagen, so dass wir problemlos bis direkt an den Spielfeldrand kamen. Mit der ganzen Truppe wurde dann zunächst einmal ein Gruppenfoto gemacht, bevor wir unseren Platz, gegenüber der Haupttribüne eingenommen haben. Jeder hat dann erstmal durchgeatmet und seine Blicke schweifen lassen. Mir kamen dann die Bilder aus zwei Dokus, welche uns der stille Teilhaber Tage zuvor geschickt hatte, in den Sinn, in denen die Stahlarbeiter aus dem benachbarten VEB Rohrkombinat Stahl- und Walzwerk Riesa mit ihren Fahnen zum Stadion pilgerten und dieses, ein ums andere Mal, zu einem Hexenkessel machten. Auch unserem Herzensverein wurde, zumindest auf dem Rasen, des Öfteren in Riesa der Arsch aufgerissen. Der stille Teilhaber war entschuldigt, da er, zusammen mit M. Pakistan unsicher machte. Ping, Toni und ich haben dann nochmal die Kamera glühen lassen und wurden von einem Knall aufgeschreckt, der durch den Kopf eines Spielers verursacht wurde, der beim Erzielen des ersten Tores gegen den Pfosten geknallt ist. Der Gute konnte danach leider nicht mehr weiterspielen.
Am heutigen Tage standen sich im Übrigen der SV Stauchitz und der PSV Braunschweig gegenüber. Dies ist, ob der historischen Bedeutung des EGS, aber sicher nicht mehr als eine Randnotiz. Man muss dem SV Stauchitz in besonderem Maße dankbar sein, da der Verein nicht nur zu dem Spiel angetreten ist, sondern auch, weil die Mitglieder den Sicherheitsdienst und das Catering übernommen haben. Das Spiel endete mit 6:2 für die „Hausherren“ aus Stauchitz. Aufgrund des Spielortes und dem Übermaß an Eindrücken, ist uns der ein oder andere Treffer durch die Lappen gegangen. Auch war, ob des Ackers, kein allzu großer Spielfluss möglich. Ich mag mir nicht vorstellen, wie der Platz ausgesehen hätte, wären keine 100 Tonnen Mutterboden aufgeschüttet worden. Schon verrückt, wie sich die Natur ein solches Stadion zurückholt. Erst 2019 wurde der Trainingsbetrieb im EGS eingestellt und das letzte Spiel des FC Stahl Riesa 98 fand 2003 gegen den Bischofswerdaer FV statt (Anmerkung Redaktionsgoju: der Chefkoch sah am 07.06.2015 das Spiel BSG Stahl Riesa AJ gg FSV Limbach-Oberfrohna AJ im EGS). In der Saison 2011/12 spielte der SC Riesa noch einmal im EGS (Anmerkung Redaktionsgoju: die SG Kreinitz trug im Jahr 2013 zwei Spiele im EGS aus). Im Jahr danach wurde, vor allem um das Spielfeld herum, nicht mehr viel gemacht (instandgehalten).
Das Spiel war mit 999 Zuschauern ausverkauft. Hätte ich schätzen müssen, wäre die Zahl sicher um einiges höher gewesen. Schon beeindruckend aus welchen Ecken die Leute für dieses Ereignis angereist sind. Wir haben uns bereits im Vorfeld darüber unterhalten, welche Nummernschilder wir wohl auf den Parkplätzen zu sehen bekommen. Der stille Teilhaber hat aus der Ferne den Witz gebracht, dass solche Futbology-Log-In-Zahlen wohl sonst nur in München, Frankfurt oder Dortmund erreicht werden.
Vor dem Spiel haben der Kulturbeauftragte und ich Massa kurz angesprochen, um ein paar Infos zum Spiel bzw. zur Orga zu bekommen. Der Gute war, verständlicherweise, kurz angebunden. Wir haben ihn zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal befragt. Die Fragen und Antworten hängen wir an das Ende des Berichts.
Lenny aus Karl-Marx Stadt hat unsere kleine Gruppe auch noch mit seiner Anwesenheit aufgewertet und dann war das Spiel auch irgendwann vorbei. Jeder ließ nochmal seine Gedanken schweifen oder drehte eine Runde im Stadion und dann war ein ganz besonderer Fußballtag zu Ende. Naja, zu Ende war er noch nicht. Wir sind in etwas reduzierter Mannstärke zum Kreispokalfinale in das Stadion am Merzdorfer Park weitergezogen. Aber zumindest das Highlight des heutigen Tages war gesetzt.
Sport frei, Serge
Wie versprochen, am Ende noch Massas Antworten auf unsere Fragen.
Wie wurde die verrückte Idee geboren alte Sportplätze, für ein Spiel, wieder zum Leben zu erwecken?
Die Idee kam so n bissel während der Coronazeit. Ich hatte nach vielen Jahren Abstinenz vom fussballerischen Ehrenamt, nach dem Aus der Dritten Mannschaft, wieder Bock was zumachen. So richtig habe ich aber keinen Verein gefunden, in den ich Zeit investieren wollte. Zusätzlich bin ich nicht der größte Menschenfreund und wenn so ein Spinner zu einem Verein kommt und dort sagt: „He hier bin ich, aber Wasserträger habe ich kein bock drauf“ naja da hält sich die Begeisterung in Grenzen. Also habe ich 2021/2022 die Vereinsmanager C Lizenz bei SFV gemacht. War ganz interessant und auch mal viel größerer Blickwinkel als bisher. Zum Abschluss musste man dort eine Projektarbeit schreiben. Da ich keinen Verein und somit auch kein vereinsinternes Projekt hatte, brauchte ich eine Idee. Dadurch dass zu dem Zeitpunkt schon die ersten Spiele organisiert wurden (Halbemond) habe ich mich auf die Manfred-von-Brauchitsch-Kampfbahn in Rudisleben gestürzt. Projektarbeit war super, Resultat aber leider: 1. Absage der Stadt Arnstadt zum Thema Kampfbahn in Rudisleben.
Das hat mich damals ziemlich angekotzt. Ja und dann wurde der Startschuss die Übernahme der Idee des „Silvesterderbys“, was ja in CZ die letzten Jahre großen Anklang fand. Klar war Hirschfeld 2022 kein klassischer Lost Ground, aber Hirschfeld hatte sich damals erst in einer Spielgemeinschaft mit Planitz zusammengeschlossen und ab da nur noch in Planitz gespielt. Die Jungs waren damals top motiviert, und damit war der Startschuss gesetzt.
Mal ehrlich, wie viel Arbeit steckt wirklich in so einem Projekt und welches war das bisher schwierigste?
Das ist von einigen Faktoren abhängig,
Riesa war bisher der schwierigste Fall. Der Platz war ziemlich Scheiße und vor allem ist Riesa für „nebenbei“ echt zu weit weg. Alleine die Vereinssuche waren locker 1.000 km hin und her fahren. So n Projekt trägst du halt nicht Online bei Ü60 Vorständen vor. In Riesa war halt der große Aufwand, dass du, bis ein Verein zugesagt hat, alles nebenbei auf eigenes Risiko machst. Und vor allem auch alles alleine koordinierst. Glücklicherweise waren mit Micha und Hartmut zwei lokale „Alleskönner“ dabei, aber auch die haben natürlich gesehen, dass wir mit unserer 3-Mann-Show nicht ins Ziel kommen werden und wenn kein Verein Aufspringt halt alles für die Katz war. Aber das Risiko hat man halt. Wenn niemand die ersten schmerzvollen Schritte macht, springt keiner drauf auf.
Welche Emotionen löst der Vereinsname BSG Stahl Riesa bei dir aus?
Nach deren Neugründung waren es immer sehr emotionale und einprägsame Spiele, die wir mit der Dritten spielen durften. Es war quasi das Saisonhighlight. Von Forderungen, dass man aus Sicherheitsgründen im großen RHS spielen sollte bis hin zum Spießrutenlauf in Riesa war alles dabei.
Hat die Stadt Riesa bei dem Projekt unterstützt?
Man hat der Idee keine Steine in den Weg gelegt und war sehr offen zu dem Thema. Mehr Unterstützung ist da nicht wirklich nötig.
Was war am Ende alles nötig, damit das Spiel überhaupt stattfinden konnte?
Hauptproblem in Riesa war, ich denke das war am Samstag auch offensichtlich, der Platz. Dort musste eine Menge getan werden. Micha Horn von GDS Service hat uns da von Anfang an unterstützt und Geräte zur Verfügung gestellt. Aber auch neben dem Platz musst du dich ja um alles kümmern: Wasseranschlüsse, Stromanschlüsse, Toiletten, Sicherheitskonzept - je schlechter die Infrastruktur desto mehr Arbeit hast du. Im Grube ist im Sozialgebäude ja auch alles abgeklemmt, kein Wasser, kein Strom, keine Klos (ok zumindest keine Spülung) aber immerhin Kabinen. Was wir letzten Sommer in Meerane nicht hatten.
Wie zufrieden bist du mit dem Tag?
Ich persönlich freue mich wie gut es angenommen wurde, die „Performance“ außerhalb des Spielfeldes vom SV Stauchitz am Spieltag war Weltklasse. Der Aufwand hat sich definitiv gelohnt.
Welche Projekte stehen demnächst noch an?
Puhh, gute Frage. Aktuell läuft nur nebenbei die Abstimmung mit der SG Kleinolbersdorf/Altenhain um dort nochmal ein Spiel auf dem „schrägsten Platz“ Deutschlands zu machen. Aber das wird in einem deutlich kleineren Rahmen. Silvester denke ich, wird es auch was geben. Aber da habe ich noch keine konkreten Ideen. Ich hoffe dass die letzten Veranstaltungen dazu führen, dass sich schneller Türen öffnen und nicht Monate lang Überzeugungsarbeit geleistet werden muss.
Kopane sagt vielen Dank, dass du uns allen damit nochmal ein echtes Highlight beschert hast und wünscht maximalen Erfolg für die kommenden Projekte.
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1 thought on “08.06.2024 SV Stauchitz 47 e.V. – PSV Braunschweig e.V.”