Wir hatten uns für unsere Tour 3 Blöcke zurecht gelegt. Block 1 eine knappe Woche in Rio de Janeiro, Block 2 Buenos Aires ( mit evtl. Überfahrt nach Uruguay) und für den Block Nummer 3 erneut Brasilien, aber diesmal in São Paulo. Da wir uns eigentlich nicht als reine Groundhopper sehen, sondern auch mal einen Tag Kultur, Baden oder sonstige Ausflüge machen, war klar wir nehmen mit was geht. Dies wird wehtun und wir werden auch mal auf den Zahnfleisch gehen müssen, aber unsere innere Unruhe irgendwas verpasst zu haben oder auch der Gedanke später, scheiße das hätten wir ruhig machen können, treibt uns teilweise durch unsere Reisen. Dann doch wieder irgendwie typisch für Groundhopper. Nur dass wir nicht ständig von A nach B rammeln um ein imaginäres Kreuz „zu machen“ bzw. „machen zu müssen“.
M brachte in den Vorbereitungen ins Spiel, ob wir mal eine Favela-Tour unternehmen wollen.
Zwei Gedanken spielten wir dafür durch, natürlich als erstes: geht dies überhaupt so einfach und ist es sicher. Ich denke wir haben alle ein ähnliches Bild im Kopf, wenn wir an die Armenviertel in Südamerika denken. M schrieb mit der Agentur ein paar E-Mails bei welcher wir die Führung buchen wollten und sie versicherten uns, dass die Besichtigung keine Gefahr darstellt und da unser Guide auch ein Local ist, er dementsprechend viele Bewohner kennt und sie ihn, ist alles in Ordnung. Der Gedanke Nummer 2 war dann ob es angebracht ist eine Art „Armutstourismus“ zu machen. Unterm Strich ist es das und da braucht sich auch niemand moralisch aufblasen und was anderes blubbern. Die Agentur meinte auch ganz ehrlich und richtig, ja natürlich wollen wir auch das ihr Geld ins Viertel bringt. Ihr kauft hier ein água und da ein Cerveja, dann geht ihr bei uns in ein Restaurant usw. usf.
Also es ist von beiden etwas, man guckt sich die Armut an und man unterstützt mit seinen Geld den ein oder anderen Ladenbesitzer. Also wurde der Buchungsbutton betätigt.
So ging es nach dem Frühstück nach Rocinha. Wir hatten die Favela, übrigens eine der größten in Südamerika, schon am gestrigen Tag von der Christusstatue aus gesehen. Und staunten nicht schlecht über die Größe, an einen Berg gelegen, schmiegten sich die Behausungen nach oben. Das konnte ja was werden.
Nach dem wir mit 2 Ubern am Treffpunkt ankamen und vor der Siedlung standen, war doch ein klitzekleines Unbehagen zu spüren. Wieder schauten uns die Menschen lange und verdutzt an und bei uns liefen die Scanner wieder auf hochtouren. Im Nachhinein eigentlich schon lustig jeder glotzt jeden an und nix passiert und es ist alles gut. Nach 10 Minuten scannen kamen unsere 2 Locals. Carlos ein Jungscher war unser Führer und ein etwas korpulenter Herr, bei welchen wir rätselten ob Mann oder Frau, war wohl der Chef. Er hatte wohl das Leben mit großen Löffeln gegessen und ist nun auf der ruhigen Seite angekommen. Bevor er uns abkassierte und nur einen kleinen Teil davon Carlos zu schob, fragte er uns, was „I Love Rocinha“ auf deutsch heißt. Unsere Antwort „I love Rocinha“. Also dämlich können wir. Jedenfalls war das Eis gebrochen und wir wurden warm miteinander. So wurde ein kleines Video gemacht, auf welchen 6 Gringos, grrgrrgrr, plus Carlos grinsend vor der Favela „ Ich liebe Rocinha“ in die Kamera rufen. Die Blicke der Leute..... ihr könnt es euch vorstellen. Ich fragte dann noch bevor wir mit den Bus tief und hoch in das Viertel hinein fuhren, ob es okay ist Fotos mit der Kamera zu machen. Kein Problem erwiderten beide, nur wo hast du denn eine Kamera? Nun hob ich den unscheinbaren Plastik BILLA-Beutel aus Tschechien hoch und holte meine nicht ganz so kleine Fotokamera heraus.
Gelächter vom korpulenten Herrn und Carlos, um gleich darauf an zu erkennen, dass dies ein klasse Idee ist, die teure Kamera in einer Plastiktüte rum zu tragen. Ja genau das war auch mein Plan ;-) Dieser Plan ging auch die ganze Reise über auf. Ich achtete auch darauf, oft in der Mitte von uns zu gehen oder an der Hauswand entlang zu laufen, so dass es für Langfinger nicht ganz so einfach wäre an meinen Tschechen-Beutel zu kommen.
Im Bus sitzend den steilen Berg die Favela hinauf konnten wir schon einige Eindrücke erhaschen. Der korpulente Herr verabschiedete sich nach einigen Minuten und stieg aus. So waren wir dann mit Carlos gute 3 Stunden im Viertel unterwegs, um zum Abschluss in den uns noch lieb werdenden Kilo-Restaurants einzukehren. Dort bestückt man seinen Teller am Buffet mit dem was man möchte, lässt den Grillmeister soviel Fleisch drauf packen wie man glaubt zu schaffen, um am Ende nach Gewicht und Anzahl zu bezahlen. Man munkelt wir lungerten öfters am Buffet rum.
Carlos erklärte uns viele Abläufe in Rocinha, die Geschichte des Viertels, erzählte uns die Rolle der Drogenkartelle und führte uns zu super Aussichtspunkten. Ob man von der Favela runter zu den Stränden der Copacabana und Ipanema schaut oder die Größe der Siedlung mit dieser Enge der Häuser betrachtet, es war aufregend und ein interessanter Kontrast.
Carlos machte seinen Job gut. Es war ein super Zusammenspiel von uns allen. Carlos fragte uns auch nach Sachen in Deutschland und so ergab sich eine interessante Unterhaltung. Als wir über das Klima und wie die Winter in Brasilien sind und er sie wahrnimmt unterhielten, zeigte ich ihm ein paar Fotos meiner Mutter aus der Heimat, als bei uns im April nochmal der Winter zurück kam. Ohje nur bei dem betrachten der Bilder sah ich Carlos an, dass er friert.
Man konnte sagen das Rocinha eine „befriedete“ Favela ist. Die Menschen versuchen viel selbst zu organisieren ( was dann wieder typisch für solche Siedlungen ist), die Bewohner haben eine Art Bewusstsein für ihren Stadtteil entwickelt, so Carlos. Die Drogenkartelle bzw. Drogenverkäufer sind natürlich nicht komplett verschwunden, halten sich aber tagsüber im Hintergrund. Die Aussage von Carlos, dass das Maschinengewehr der Dealer eigentlich nur ein Statussymbol sei, also je größer die Wumme umso größer das Business, nahmen wir mit einen lachen zur Kenntnis. Was uns auch amüsierte war dieses Kabelgewirr in den Straßen. Also das da einer durchblickt ist unmöglich. Carlos meinte nur es funktioniert, aber keiner weiß wie.
Zum Abschluss, rief uns unser Local noch 2 Uber und wir übergaben ihn ein kleines Trinkgeld und bedankten uns für die Führung und die Informationen.
Zu unseren Bedenken bei der Buchung der Favela-Tour, kann ich im nach hinein sagen, die Bewohner, nahmen uns natürlich wahr, so wie überall auf der Reise, wir hatten im Laufe der Führung aber nie ein Gefühl der Unsicherheit oder dergleichen. Bei vielen wirkte es so, joar da laufen 6 Gringos grrgrrgrr und gucken sich halt unser Viertel an und das Carlos auch ein Bewohner ist merkten wir relativ schnell, hier und da wurde abgegrüßt oder kurz gequatscht. Es hat alles gepasst.
Die Uber schmissen uns dann am Praia de Ipanema raus, wo wir uns noch ein paar kühle Säfte gönnten. Dann ging es zum berühmten Maracanã, Fluminense gegen den Santos FC.
Nicht das beeindruckendste Stadion auf unserer Reise, aber doch eines mit großen Namen und Geschichte. Für die, die der Mannschaft die Daumen drücken, wird natürlich das Finale Deutschland gegen Argentinien in Verbindung mit dem Maracanã, dessen offizieller Name Estádio Jornalista Mário Filho ist, stehen. Doch auch das Endspiel 1950 zwischen Brasilien gegen Uruguay ging in die Fußballgeschichtsbücher ein.
Es war eines der größten Stadien der Welt und wenn man im Internet die zehn höchsten Zuschauerzahlen darin liest schlackern einen die Ohren.
Wir konnten unsere Tickets entspannt am Stadion holen und gönnten uns im Umlauf noch ein paar Bierchen. Die Sonne ballerte auch extrem. Bitte mehr davon! Wir stellten schnell fest, dass das Publikum bei Fluminense nicht ganz so nach Fußball aussah wie gestern bei Vasgo. Die Kurve um die Gruppe Bravo 52 war gut gefüllt und auch aufgelegt. Es machte schon was her, auch bei uns auf der Gegengerade stiegen immer wieder die Fans mit in die Gesänge ein. Doch die 22.855 Zuschauer gingen in den weiten rund schon unter. Die ca. 2.000 Gäste gefielen uns vor allem in der ersten Halbzeit, schön in der Sonne brutzelnd, OKF, schöne Zaunfahnen. Da freute wir uns gleich auf unseren Besuch bei ihnen, was den noch in weiter Ferne liegenden Abschluss unserer Reise bedeuten wird. Das Cerveja war kalt und konnte schnell geordert werden und genauso kam es bei der Hitze im Kopf an. Wir waren zufrieden. Schön das es in Brasilien unkompliziert ist ein paar Bier im Stadion zu naschen. In Argentinien ist dies nicht möglich und so mussten wir öfters improvisieren. Aber dazu später mehr.
Und wie wir so das Spiel schauten, meinte der Südbrandenburger „ Da wars, da ist es gefallen“ und zeigte auf eines der Tore. Ja irgendwie ist es cool wenn der Fußball seine Geschichten schreibt und irgendwann und irgendwo ist man dann an den Ort, auch wenn ich persönlich nicht allzu viel mit der Mannschaft und dem drumherum anzufangen weiß.
Nachdem Spiel flanierten wir noch gemütlich an der Copacabana entlang und genossen die Caipirinha für 5,90 Real, dabei hatten wir fast schon wegen dem Preis ein schlechtes Gewissen. Aber nur fast ;-) (Der Kulturbeauftragte)