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Heute sollte es endlich zum CE Europa gehen. Ich war gespannt! Der Club Esportiu grüßte von der Tabellenspitze und hatte am drittletzten Spieltag die Chance in die 4. Liga aufzusteigen. Ich konnte die Jungs der Mademoiselle leider nicht für diese 5. Ligaperle vom Pool weg locken. Schade, sie haben echt den Fußball verpasst, wie ich ihn mir vorstelle. Ein klasse Stadion, mitten im Viertel, ohne Sektorentrennung, einzig der dämliche Geruch von Kunstrasen nervte, jammern auf ostdeutschen Niveau, eine kleine coole Heimbande, ein paar Gäste, bisschen kuttig angehaucht, richtiges Cerveza und ein Spiel, wo der Kulturbeauftragte wahrscheinlich beim 3:2 Siegtreffer für Europa mit geschrien hätte, als ob er hier dazu gehören würde. Es hat richtig Spaß gemacht. Aber von vorn.
So stand ich alleine und leise am Morgen auf und fuhr mit Bus und Bahn in den Stadtteil Gràcia wo Europa im Nou Sardenya spielt. In diesen Stadtteil ist der CE Europa zu Hause. Die Hauptfangruppe Eskapulats definiert sich auch über ihr Viertel und zählt sich nicht zu Barcelona. Ich komme später nochmal darauf zurück. Also ca. 500m vom Stadion entfernt aus dem leeren Bus gestiegen. Anstoß war um 12:00Uhr am Sonntag und ich war schon 10:00Uhr vor Ort, um mir genügend Zeit zu lassen ein wenig rum zu streunern. Zweimal um die Ecke gelaufen und dann müsste das Stadion eigentlich erreicht sein. Aber nein da sind nur weitere Häuser, so meine naive Annahme. Als ich aber näher kam, bemerkte ich, ne ne das ist schon eine Tribüne, wie geil, wie zentral. Das DSF würde was von mittendrin statt nur dabei faseln. Die Entradas gab es noch nicht käuflich zu erwerben, also einmal um das Gelände gestiefelt, ein paar Graffiti angeschaut, die Bar der Heimszene gefunden, mal sehen ob sie einen kleinen Marsch vor dem Spiel machen, da sie dies öfters tun, um dann wieder vor der Haupttribüne anzukommen. Also in ein Kaffee gesetzt und ein pan con jamón serrano y café in der Sonne genossen. So konnte die Zeit gut überbrückt werden, bis ich mein Ticket kaufen konnte. So ne gute Stunde hatte ich noch. Also was macht der Kulturbeauftragte, ab durch’s Viertel und mal den Platz der Revolution begutachten. War nichts besonderes, ein Platz halt. Ein paar Symbole der separatistischen Unabhängigkeitsbewegung konnte ich ablichten. In den Straßen, an Fenstern und Balkonen hingen viele Senyeres, katalanischen Flaggen. Auch gemalt an Bäumen und Laternen waren sie omnipräsent. Ich nahm aber auch öfters wahr, dass sie durchgestrichen waren. Ansonsten schlenderte ich ein wenig durch Gassen und Gässchen. Alles schön eng und ein wenig hügelig. Bis 1897 war Gràcia ein eigenständiges Dorf, ehe es an Barcelona angeschlossen wurde. Das Barrio hat über 120.000 Einwohner und machte einen sehr gepflegten Eindruck auf mich. Viele Graffiti sind in den Straßen zu sehen und machen graue Wände lebendig. Auch wenn sehr auffällig zu ca. 90% auf Rollläden der Geschäfte oder in Einfahrten gemalt wird, eigentlich nie an den Häuserfassaden. Hauptsache bunt. Die Vernunft darf niemals siegen.
Zurück am Nou Sardenya wieder in die Bar von meiner Ankunft gepflanzt und ein Estralla Damm in der Sonne genossen. Ein perfektes Ambiente. An der Fanbar der Eskapulats kam ich erneut vorbei und nach meinen Bierchen wartete ich dort, ob sie wieder einen Marsch zum Block machen würden. Da sie dies, laut ihrer Social Media Plattform, öfters tun. Aber kein Marsch und als die Zaunfahnen drin waren ist der Kulturbeauftragte auch in dieses wirklich schöne Stadion rein. Diese große Haupttribüne, die winzige Gegengerade welche von, im Gegensatz zur ihr, wirklich großen Wohnblock überragt wird und dieser kleine aber sehr feine Fanblock. Ein Stadion welches nicht besser konzipiert werden konnte. Zwischen Haupttribüne und Fanblock gab es Tschechien-Like eine Stadion Pivnice und diese zog den Kulturbeauftragte an, wie ne Motte das Licht. Es war warm und ich hatte Durst. Die Jungs in der Schlange versicherten den Ostdeutschen
„Yes, of course it's real beer“
Fußball! Also zwei Becher geordert und die ersten Halbzeit auf mich wirken lassen. Die Eskapulats rechter Hand wurden ausgiebig beobachtet. Ich liebe ja solche Fangruppen. Nicht wirklich bekannt, aber trotzdem mit Wiedererkennungswert, Profil und Geschichte. Die Gruppe gründete sich Mitte der Saison 2013, zu einer Zeit, als die Stimmung wie auch die Besucherzahlen im Nou Sardenya deutlich rückläufig waren. Sie definieren sich als antifaschistische Fussballfans, da viele ihrer Mitglieder und Mitgliederinnen aus dem politischen Umfeld der Linken Unabhängigkeitsbefürworter ihres Stadtteiles kommen. In einen Interview erklären sie, dass sie sich nicht als Ultras oder Hooligans sehen, sondern aktive politische Fussballfans sind. Auch wenn es einige Mitglieder gibt welche sich mit den genannten Fankulturen identifizieren können.
Der Name Eskapulats (auf Spanisch Escapulados) ist schwierig zu übersetzen, soweit ich dies eruieren konnte, hat es etwas mit dem Trikot des CE Europa und dem markanten blauen Streifen darauf zu tun. Sollte dies nicht stimmen und einer unserer zwei Stammleser weiß es besser, her damitt, die nächste Club-Cola geht auf mich. Ihr lokaler Derbygegner ist der Verein UE Sant Andreu mit seine Fangruppe Desperdicis 07, welche sich selbst als antifaschistische Ultras der Unió Esportiva Sant Andreu, seit 2007 bezeichnen. Die Spiele untereinander sind immer richtige Highlights und lohnen sich fan- und stadiontechnisch auf alle Fälle. Beide Fanlager sehen sich als lokale Rivalen, doch da sie auch beide politisch auf der gleichen Seite stehen, ist der Umgang von Respekt geprägt. Weiter pflegen die Eskapulats Kontakte zu Cosenza Calcio, wie es auf einigen Bildern im Netz zu sehen ist.
Das Spiel auf dem künstlichen Geläuf, war durchaus sehenswert. Für die Fans Europas aber wahrlich keine leichte Kost. Der Druck gewinnen zu müssen, um den Aufstieg einen riesen Schritt näher zu kommen, lag definitiv bei ihnen. Die Führung Europas konnten die Gäste in der zweiten Halbzeit zum 2:1 drehen. Utopischer Jubel, Spieler und Fans eine Traube sich anschreiender Menschen. Ich konnte super Bilder machen. Nun Europa am drängen, drücken und stürmen. Das 2:2 fiel dann in der 89. Minute. Jetzt die gleichen Bilder auf der anderen Seite des Platzes. Ich hätte am liebsten mitgeschrien, aber ich habe in den Moment ein Video gemacht und somit auch das Tor mit drauf. Hab ich mir natürlich mehrmals angesehen. Ich hätte CE Europa den Siegtreffer wirklich gegönnt. Ihr merkt meine Sympathien sind klar verteilt. Es blieb beim gerechten 2:2. CE l’Hospitalet spielte taktisch klug, sauber und mutig. Das Unentschieden beim Tabellenführer war mehr als verdient. Europa musste wirklich einiges investieren um hier noch einen Punkt mit zu nehmen. Die Gästemannschaft feierte dies auch stolz mit ihren mitgereisten Fans. Gut so! Auch in der Kurve der Eskapulats schworen sich Team und Fans auf die letzten Spiele und den Aufstieg ein. Es sollte ihnen auch als Tabellenführer gelingen und so spielt der CE Europa in der Saison 2023/24 in der Segunda División RFEF. Am letzten Spieltag wurden zu Hause CF Montañesa 2:0 besiegt. Diesmal gab es einen Marsch, mit Pyro, von der Bar ans Stadion und eine Choreo. Die Legende lebt weiter – CE Europa! Auch UE Sant Andreu schaffte den Aufstieg und so gibt es in der neuen Saison wieder das kleine Barcelona Derby, wenn man es so nennen möchte.
Hieß für mich nun 4 Kilometer gemütlich zur Catedral de la Santa Creu i Santa Eulàlia runter in die Stadt zu laufen. Dort war Treffpunkt mit der Mademoiselle und den Jungs, welche mit der Bahn aus Castelldefels kamen. Zu Fuß bekommt man natürlich viel mehr mit von der Stadt, als wenn man im Bus oder der Metro sitzt und da ich genügend Zeit hatte, nahm ich mir diese auch. An der Kathedrale gewundert, dass eine große Handyanbieter Werbeplane an dieser, im oberen Bereich, hing. Was los in der Kirche, kein Geld mehr? Die direkte Umgebung der Catedral kann auch punkten. Mit dem Mirador del Rei Marti, dem Plaça del Rei und den engen Gassen kann man einige Zeit verbringen. Als wir alle wieder vereint waren, wollte die Mademoiselle zum Palau Güell. Ich hatte darüber schon kurz im Espanyol Bericht geschrieben. Ich bin ehrlich, dieser kleine Palast in der Nähe der Flaniermeile La Rambla, welche definitiv nichts für mich ist, und sein Architekt Antoní Gaudí sagten mir nichts. Doch gehören sie zu Barcelona dazu und sind schon ein touristisches Highlight. Der Palast ist dementsprechend eine Weltkulturerbestätte und Gaudí ein intelligenter und extravaganter Bauherr gewesen. Dass die Jungs bei der zweistündigen Besichtigung nicht rum quengelten und sich nicht langweilten zeigt, dass Antoní Gaudí, mit seinen verspielten und auch prunkvollen Stil, ein Meister seines Faches war. Weitere Bauwerke in Barcelona sind das Casa Mila, das Casa Batlló und wie bereits erwähnt die Sagrada Família, für welche er bis zu seinen unglücklichen Tod, mit 73 Jahren, Bauherr war. Er wurde auch darin beigesetzt. Danach ging es nochmals an den Strand in Barcelona und mit einen überfüllten Bus und der Bahn zurück nach Castelldefels. Dort ging es ebenfalls an der Strandpromenade entlang. Ich denke im Sommer ist hier alles gut überlaufen. Doch jetzt, zu Ostern, am frühen Abend war es gechillt. Der Große musste noch, bevor wir ins Restaurant gingen, eine Geldbörse erwerben. Und zwar bei einen Händler, welcher seine Markenwaren auf einer auf dem Boden liegenden Decke feil bot. Ein top, in Qualität und Herstellung, geklöppeltes Kunstleder Portemonnaie von Louis Vuitton ging über die nicht vorhandenen Ladentheke. Ein Bombengeschäft und als er stolz die Geldbörse im Restaurant inspizierte, kamen wir alle aus dem Lachen nicht mehr raus.
Wir hauten uns die Mägen gut voll. Es war zwar ein galicisches Restaurant in Katalonien, aber es war verdammt lecker und mit offener Küche gefällt es mir persönlich immer. Der Nachtisch ein Sorbete de limon war dann ein delikater Abschluss eines perfekten Tages.
(Der Kulturbeauftragte)
Eine neue Ausgabe des "Abhaun!" ist erschienen. Nach 11 Jahren geht die Abhaun-Reihe mit der 6. Ausgabe weiter. Ein Klick auf das Bild bringt euch zu den weiteren Informationen.
Gràcia
Platz der Revolution
Catedral de la Santa Creu i Santa Eurasia
Palau Güell
Sorbete de limon