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Nachdem der stille Teilhaber und der Sportliche ihren Standort gesendet hatten, ging es auch für uns vom Hotel wieder los. Fünf Tage am Stück zwei Spiele zu schauen macht man halt nicht einfach so und in der Riesenstadt Buenos Aires muss der Reisende mit Fußballhintergrund auch ein paar Strecken zurück legen. Da war ich relativ froh das Buenos Aires nicht allzu viel Sehenswürdigkeiten hat, sonst wär das für mich zur Zerreißprobe verkommen. Wenn es für die Hopper in Ordnung ist irgendwo hin zujetten, ein imaginäres Kreuz, früher in den Groundhopping-Informer, heute in diese Groundhopping-App, zu nageln, nichts vom Rest mitzubekommen und zum nächsten Spiel „ zu machen“, na dann. Es wird ihnen Spaß machen und sie sind zufrieden. Das ist dann auch das Wichtigste. Ich bekomme halt jedes mal Gewissensbisse wenn ich zu einem Spiel fahre und nichts von der Stadt oder Gegend sehen kann.
Am Stadion von Racing angekommen, war natürlich wieder die Hölle im positiven Sinne los. Ich muss jetzt hier auch mal erwähnen, dass die Fans in Argentinien wirklich gut am Glas sind. Da wird sich vorm Spiel ordentlich die Kante gegeben, Oberkante…Unterlippe. Liegt vielleicht auch da dran, dass es im Stadion nichts alkoholisches zu trinken gibt. Bei Racing vor dem Spiel empfand ich es extrem. Sei es der Fan der im Suff wie ein Bekloppter mit der flachen Hand gegen ein Metalltor schepperte und Lieder sang oder der Fan welcher zwischen zwei parkenden Autos kniete und gepisst hatte. Also hier wurde sich ordentlich zurecht gemacht. Bei uns gab es wieder den geschmuggelten Schnaps mit Zitronen im Colabecher während des Spieles. Diesmal war ich aber raus. Ich kämpfte wirklich mit der Müdigkeit. Das hatte Racing nicht verdient und auch nicht die La Guardia Imperia – Die kaiserliche Wache.
Wie immer geile Zaunfahnen, mit guten Botschaften drauf „ esta locura de amarte me impide ser normal – „Dieser Wahnsinn, dich zu lieben, hindert mich daran, normal zu sein“. Wieder Gedenkbekundungen auf Zaunfahnen für den Krieg auf den Malwinen (Falklandkrieg). Welche uns in jeden Stadion auffielen. Auch auf Graffiti wurde dies oft thematisiert. Ich denke es ist auch eine Art Erinnerungskultur der Fanszenen. Was wir auch in absolut jedem Stadion in Argentinien sahen, waren Zaunfahnen für Diego Armando Maradona Franco! Das ist schon Wahnsinn, welchen Kultstatus er besitzt. In Deutschland undenkbar einen ehemaligen Nationalspieler durch alle Fanszenen hin weg so zu huldigen.
Die Atmosphäre wieder herrlich, das Stadion war am liefern. Auch die Architektur des Estadio Presidente Juan Domingo Perón interessant. Ein weites Rund komplett zweirangig und überdacht. Die Stützen im Oberrang, wo auch wir saßen, des Daches schränken die Sicht nicht weiter ein, geben der Optik des Stadions aber einen gewissen Wiedererkennungswert. Auf den Geraden war unten an den blau weißen Stufen noch ebenerdig Platz für kleine Fußballfelder und die Jüngsten jagte dort den Ball hinterher. Eine Klasse Idee, man hat die Kleinen immer im Blick und die Kiddies jagen den Ball mit Erstligaatmosphäre nach.
Zwei Spitznamen hatte ich im Internet für den Stadionnamen gelesen, wobei mir der Zweite besser gefällt, da er besser passt. El Cilindro – der Zylinder und Nummer zwei El Coliseo - Das Kolosseum. Beim recherchieren im Netz bin ich dann auch über die Geschichte der sieben vergrabenen Katzen im Stadion gestoßen. Das ist mal wieder eine Geschichte, die der Fußball schreibt.
1967 als der FC Karl-Marx-Stadt DDR-Meister wurde, scheint ja in der Stadt der Moderne sehr wichtig zu sein, gewann Racing den Weltpokal und die Fans von Independiente waren so sauer, beide Stadien trennen nur wenige Meter, dass sie in das Stadion des blauweißen Erzfeindes einbrachen und sieben tote Katzen als Fluch vergruben. Racing blieb 35 Jahre ohne einen Titelgewinn und die Vereinsverantwortlichen versuchten einiges um die toten Vierbeiner zu finden. Erst 2001, als der neue Präsident Reinaldo Merlo das ganze Stadion umgraben lassen hat, wurde das Siebte und letzte Katzen-Skelett in einen ehemaligen Wassergraben gefunden. Im gleichem Jahr wurde Racing wieder argentinischer Meister. Solche Storys liebt man einfach im Fußball und kopane liebt den Fußball!
Aber, schade das ich heute so müde war. Ich musste den langen und ereignisreichen Tagen halt Tribut zollen und kämpfte mich durch das Spiel. Im Nachhinein muss ich sagen, dass die Barra Brava La Guardia Imperial, eine wirklich große Nummer ist und nicht verdient hat das ich hier abkacke. Ich ärgere mich jetzt noch ein bisschen nicht fit gewesen zu sein.
Nun wir haben heute die Hälfte unserer Spiele auf der Tour gesehen. In diesen Moment war es uns natürlich nicht bewusst und selbst wenn, hätte ja auch irgend etwas nicht klappen können. Wir lebten in unserer eigenen Blase. Als ich den stillen Teilhaber mal nach dem Wochentag fragte, standen wir da und überlegten echt welcher es war. Das war schon krass zu sehen, wir waren komplett in der Reise versunken.
(Der Kulturbeauftragte)
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