Grüezie mitenand,
für die Einleitung dieses Berichtes muss ich ein wenig ausholen.
Am 02.12.2018, also vor fast genau fünf Jahren, sah ich mein erstes Spiel in der Schweiz. Im Joggeli in Basel trafen der FCB und die Young Boys aus Bern aufeinander. Was irgendwie als Lückenfüller geplant war, entpuppte sich als wahres Fanspektakel. Beide Fanszenen brannten ein wahres Ultra-/Pyrospektakel ab und hinterließen mich mit heruntergeklapptem Kiefer. Die Schweiz hatte mich, direkt mit dem ersten Spiel. Die Kreativität der Szenen, der Einsatz und Umgang mit Pyrotechnik, die unterschiedlichen Kulturen (die Schweiz ist viersprachig) und das wunderschöne Land zogen mich in ihren Bann. Das Ganze kulminiert nun heute mit der Komplettierung der Challenge League (zweite Liga), nachdem die erste Liga vierzehn Tag vorher in Lausanne (Ouchy) „vollgemacht“ werden konnte (der Kulturbeauftragte berichtete).
Jeder der es mit dem Fußballtourismus hält, kennt diesen inneren Zwang, wenn man diesen Verein noch unbedingt sehen will, oder jenes Derby oder man seine Länderpunktquote nach oben schrauben will. Am Ende treibt uns unsere Sammelwut in die Stadien. Und wenn man sein Ziel erreicht hat, kehrt für einen (viel zu kurzen) Moment Freude ein, um dann von einer Leere vertrieben zu werden, gepaart mit der Herausforderung neue Ziele zu definieren. Insofern bin ich gespannt, wohin mich meine nächste Zwangsneurose treibt. Drei Nebensätze seien mir noch gestattet, bevor das hier zu einem Philosophiereferat ausartet. Was wir durch unsere Reisen sehen und erleben, die Menschen, die wir kennenlernen dürfen und die Erweiterung unseres Horizonts, ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Darüber hinaus lernt man seine Freunde und deren Macken mal so richtig kennen. Also sucht euch ein paar Kumpels, bastelt euch eine Reise zusammen und schaut euch Spiele und Länder an und werdet zu besseren Menschen.
Zum Thema:
Ping und ich fuhren gemütlich mit dem Auto nach Baden. Unter dem Theaterplatz haben wir geparkt und kamen direkt auf einem Weihnachtsmarkt heraus. Damit fing der Nachmittag schon einmal gut an. Bei 5 Grad und Sonnenschein drehten wir zwei Runden über den Markt und aßen Raclette und tranken Glühwein. Auf meinem Zettel standen drei Sehenswürdigkeiten, die wir pflichtbewußt aufsuchten. Als erstes besuchten wir die 39 Meter lange Holzbrücke, welche 1810 eröffnet wurde und über die Limmat führt. Die Limmat mündet in die Aare und ist der zweitgrößte Nebenfluss. Unser Weg führte uns dann zum Stadtturm, welcher von 1441 – 1669 erbaut, zerstört, wieder aufgebaut und umgebaut wurde. Er beherbergte das Bezirksgefängnis und hatte mehrere beheizbare Gefängniszellen und ist, seit 2009, wieder im Zustand von vor 1925. Die römisch-katholische Kirche haben wir ebenfalls besucht. Was soll ich sagen, wir waren im Vatikan, also sieht jede andere Kirche aus, als hätte man uns Dreck in die Augen gerieben. Spaß beiseite, die Kirche war schon schön. Die Altstadt von Baden ist generell richtig putzig. Wie so oft in der Schweiz ist vieles auf verschiedenen Ebenen angelegt und die schmalen, hohen Häuser geben der Stadt diese typische (deutsche) Schweizoptik. Zuletzt sollte es auf die Burgruine Stein gehen, die in 445 m ü. M. über der Stadt thront. Dieses Vorhaben habe ich vom Zustand meiner Frau abhängig gemacht, die sich, im 8. Monat schwanger, die elendig vielen Stufen nach oben schleppen musste. Am Ende wollte sie aber ebenfalls hoch und, unterbrochen durch die ein oder andere Pause, haben wir es nach oben geschafft. Die Festung entstand vor 1000 Jahren und wurde 1415 von den Eidgenossen zerstört. Im Jahre 1657 – 1670 wurde die Festung neu errichtet und 1712 erneut zerstört. Lediglich die Burgkapelle Sankt-Nikolaus blieb vollständig erhalten. Während wir also unsere Blicke über die Stadt schweifen ließen, hörten wir hinter uns laute Fangesänge. Aufgekratzt rannte ich also zur Rückseite der Burg und konnte beobachten wir der Thuner Haufen am Bahnhof eintraf. Wir haben uns dann auch auf den Weg gemacht und sind die 15 Minuten zum Stadion Esp in Fislibach gefahren. Die Sportanlage Esp wurde 1988 eröffnet und liegt am Rande eines Industriegebietes. Weil der Parkplatz gesperrt war, konnten wir das Auto auf einem Parkplatz einer der umliegenden Firmen kostenfrei abstellen. Noch schnell die Zwickau-Sitzkissen geschnappt und, ohne Kontrolle, rein ins Stadion. Eines vorweg, eine Perle ist das Stadion Esp nicht. Drei Seiten sind unüberdacht mit ein paar Stufen, die große Haupttribüne fällt da schon ein bisschen aus dem Rahmen. Das schlimmste allerdings war, es wurde auf Kunstrasen gespielt. Die Rahmenbedingungen hätten also besser sein können. Nun mussten es also die Fans herausreißen. Und diese nahmen den Auftrag an, und wie.
Von den 1.569 Zuschauen haben (geschätzte) 500 Fans aus Thun die 130 km lange Reise nach Baden auf sich genommen. Am Zaun wurde eine Fahne „Brönne für Thun“ aufgehängt. Und wie es brannte! Bereits beim Warmmachen wurde die erste Fackel angerissen und Gesänge angestimmt. Auf Seiten der Badener hielt man sich noch zurück. Der Capo der Badener ordnete seine Jungs und sorgte für ein kompaktes Bild. Zu Spielbeginn wurde im Gästeblock jede Menge Rauch gezündet, damit verschob sich der Anpiff etwas. Die Sicht des Thuner Torwarts ging gegen null. Zum Spiel kann ich nicht viel sagen, da ich von dem Treiben in den Blöcken abgelenkt war. Ein paar Worte zum Spiel will ich dennoch verlieren. Thun schoss, vor der Pause das 0:1. Baden mühte sich ab den Ausgleich zu erzielen, versiebte zwei hundertprozentige Chancen und verschoss einen Elfmeter. Die Badener warfen alles nach vorn und kassierten das 0:2 und auf beiden Seiten flog ein Spieler vom Platz. Der FC Baden, der in der Saison 22/23 erst in die Challenge League aufgestiegen ist, steht nach dem Spiel auf Rang 9 (Vorletzter) und damit nur noch einen Platz vor Schaffhausen, Thun bleibt Zweiter und ist punktgleich mit dem Ersten FC Sion.
Zurück zum Geschehen auf den Rängen. Kurz bevor die zweite Hälfte begann, beobachteten wir Gewusel im Thuner Block. Die Jungs, welche das ganze Spiel über vermummt waren, liefen hin und her und verteilten sich im Block. Was zu Anpfiff der zweiten Halbzeit folgte, war eine Pyroshow, welche von eine Raketenbatterie (auf der Gegengeraden) flankiert wurde. Wie so oft, hörte man von den Zuschauern kein Gemecker oder Pfiffe. Der Dame hinter mir entrann ein „Prost Neujahr“. Das Spiel konnte fortgesetzt werden und in Beiden Blöcken wurden Spruchbänder vorbereitet. Auf Seiten der Gäste war zu lesen „Uf Kollektivstrafe…“ und bei Baden „Folge Kollektivantworte“. Im Zusammenhang mit der Spruchbandaktion detonierte hinter dem Block der Badener ein Böller und in beiden Blöcken wurden Rauchtöpfe gezündet. Vermutlich handelt es sich noch immer um einen Protest der Schweizer Fanszenen, gegen Kollektivstrafen aus der Vorsaison, als Gästefans von Luzern und St. Gallen, für die jeweiligen Spiele gegeneinander, ausgeschlossen wurden. Diese Kollektivstrafe wurde ausgesprochen, nachdem es im Nachgang einer Begegnung der Beiden Vereine, zwischen den Fanlagern, geknallt hat.
Gezündet wurde natürlich auch nach den Toren und ebenfalls nach Schlusspfiff. Die Gäste feierten den Auswärtssieg mit ihrer Mannschaft und auf Seiten der Badener wurde sich bei der bedröppelten Mannschaft mit Pyro und Spruchband („der Traum geht witer“) bedankt. Man ist hier froh, dass man in der zweithöchsten Schweizer Spielklasse unterwegs ist. Das Stadion leerte sich und wir haben dem Treiben noch ein paar Minuten zugeschaut, bevor wir, äußerst zufrieden, die Heimreise angetreten haben.
Serge
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