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20.03.23,
Tag 5
Letzter Tag in Kingston und es wurde wieder nicht langweilig. In einer Gluthitze liefen wir eine lange und laute Straße entlang. Erster Stopp war am Devon House. Es wurde 1881 erbaut. Für den ersten schwarzen Millionär Jamaikas, George Stiebel. Er war wahrscheinlich ein fleißiger Mann, welcher hart und ehrenhaft seine Millionen als Zimmermann, Spediteur und Waffenhändler verdiente. So steht es jedenfalls geschrieben. Wer kennt es nicht, vom Zimmermann auf Waffenhändler umgeschult. Aber weiter im Text, sein Glück fand er letztendlich in Venezuela, nachdem er in eine Goldmine investiert hatte. Die erste Million ist halt immer noch am schwersten zu verdienen. Doch heute steht das Haus, welches im georgianischen und karibischen Baustile erbaut wurde, für Spaß, Unterhaltung und Erholung. Wo die Bewohner Kingstons und die Touristen Besichtigungen machen, einkaufen, speisen und entspannen können. Als wir den Eingang gefunden hatten, ging es sofort in eine Art Bäckerimbiss. Wir wollten die berühmten jamaican patty probieren. Als erstes passt auf, die Teile sind verdammt heiß. Eins reicht wahrscheinlich auch, damit ihr satt werdet. Aber der verfressene Kulturbeauftragte musste sich natürlich zwei von den kochenden Teilen bei knapp 30°C gönnen. Ich kühlte dann mit warmen Kaffee. Die Teigtaschen können z.B. mit Rinderhackfleisch, Huhn, Schwein, Lamm und Meeresfrüchten, Gemüse oder Ackee gefüllt sein. Meine Wahl viel auf das Rinderhackepeter und natürlich auf das Ackee. Was der Kulturbeauftragte nicht kennt frisst er, ich bin ja schließlich kein Bauer. Zum Geschmack kann ich zwei Adjektive benutzen heiß und scharf.
Das Grundstück des Devon House umfasst elf Hektar. Die Gartenanlage mit dem Springbrunnen, Palmen und Blumen macht echt was her und mit dem Haus im Hintergrund ist es ein schönes Fotomotiv. Nur durch eine nette Mitarbeiterin gelangten wir zu diesen Fotohotspot. Der Garten war bei unseren Besuch geschlossen und viele fleißige Gärtner wuselten auf dem Gelände rum. Doch die Frau deutete unsere mitleidigen Blicke richtig und ließ uns kurz durch. Vielen Dank dafür. Nun auf zu dem must-see in Kingston. Das Bob-Marley-Museum! An den Künstler kommt man in Jamaika nicht drum herum. Man kann machen was man will. Bob Marley war nicht nur Sänger und Songwriter. Er war Mitbegründer der Reggae-Musik mit seiner Band The Wailers.
Er verbreitete auch die Rastafari-Bewegung und kämpfte dadurch für die Befreiung und Gleichberechtigung der dunkelhäutigen Bevölkerung weltweit. Ein weiteres Ziel ist, dass die versklavten Völker Afrikas auf ihren Heimatkontinent zurückkehren. Für viele Rastafaris gehört der Konsum von Cannabis, im Slang Ganja, zum spirituellen Ritus dazu. Die Dreadlocks sind ein Symbol für Naturverbundenheit und erinnern an die Mähne des Löwen von Juda. Für Jamaika kann ich nur sagen, hier kifft einfach alles. Egal wo, egal wer, egal wann. Die ganze Insel dampft. Wahnsinn wie akzeptiert dies hier ist. Da ich keine Reggae-Musik höre, war es doch mal interessant sich damit auseinanderzusetzen und zu erfahren was da eigentlich dahinter steht. Was auch ein Merkmal der Rastafari-Bewegung ist, ist das alte verkrustete Frauenbild, auch wenn prinzipiell die Frau und der Mann als Individuum gesehen wird. Weiter ist Schwulen- und Lesben Feindlichkeit verbreitet. Wir wussten, dass der Eintritt im Museum 25 Dollar kosten wird und diesmal war ein Teil der Gruppe bereit diesen Preis zu bezahlen um das Haus, welches gleichzeitig das ehemalige Wohnhaus von Bob Marley war zu besichtigen. Es befinden sich ein Theater mit 80 Plätzen, eine Fotogalerie, ein Plattenladen und ein Souvenirs Shop darin. An der Kasse meinte die Kassiererin, dass wir erst zur nächsten Führung in einer Stunde Tickets kaufen könnten und auf unsere Nachfrage, ob wir nicht doch bei Tour welche gerade durch die Tür ging dabei sein könnten bekamen wir eine unflexible Antwort. Also wurde von einen Teil flexibel reagiert. Der andere Teil spazierte über das Gelände, begutachtete die Graffiti und pflanzte sich auf die Dachterrasse des One Love Cafés mit einen kühlen Red Stripe.
Nachdem Red Stripe geht die Überleitung zu den Red Hills im Golden Acres Resort leicht von der Hand. Ein Viewpoint war unser Ziel. Die Gegend dort definitiv keine Tourizone. Wahnsinn wie die Leute uns dort ungläubig anschauten. Von dort oben konnte man das flache Kingston gut überblicken. Was wirklich auffällt ist, dass die Hauptstadt Jamaikas wenig Hochhäuser hat. Und wenn das Golden Acres Resort schon keine Tourizone war, wie sollte es erst im Seaview Gardens Viertel ausschauen. Dieses erspähten wir von unseren Aussichtspunkt im Westen am Meer gelegen. Leichte Anspannung machte sich schon im Auto breit, als wir in das Viertel hinein fuhren. Ich empfand es als surreal. Da waren wieder diese knallbunten Häuser, voller Farbenpracht und wirklich sehr schön und die direkte Nachbarschaft sah aus, ob dort niemand leben könnte. Alles kaputt, Müll, ausgeschlachtete Autos, große Berge von alten Autoreifen. Dazwischen mal eine Werkstatt oder ein kleines Geschäft, wie ein Kiosk oder Obstladen. Streunende Hunde, eine Ziege und wenig Menschen auf den Straßen. Ich erwähne nicht erneut die Blicke der Bewohner. Auch wenn wenig los war, es hätte fast gereicht, dass uns ein Motorrad ins Auto fährt. Es kam nämlich mit guter Geschwindigkeit aus einer Seitenstraße. Wahrscheinlich dachte der Fahrer, kam ja die ganze Woche keiner hier lang, also warum heute. Ein Passant bemerkte dies zum Glück, wir haben den ja gar nicht gesehen, winkte und schrie Richtung des Motorradfahrers. Im letzten Moment ging er in die Bremsen, legte sich fasst auf die Fresse und konnte mit ach und krach sein Fahrzeug halten und zur Seite ziehen. BanjaLucas hätte keine Chance gehabt. Alle am durchatmen. Wir winkten den Passant als Dank freundlich zu und signalisierten den Motorradfahrer war ganz schön knapp. Er lachte und pustete auch erstmal durch. Eine Gruppe Männer auf der gegenüberliegenden Straßenseite feierten dies und lachte in unsere Richtung. Wahrscheinlich war endlich mal was los im Seaview Gardens. Am Ende grüßte uns die Runde mit Daumen nach oben. Reicht hier, weiter.
Da die Dichte an Sehenswürdigkeiten in Kingston wirklich gering ist, sind wir an den Nelson Mandela Park gefahren. Im Internet sah es noch ganz cool aus, vor Ort war es einfach nur ein Platz wo die Stufen in den Landesfarben gehalten waren. So entschieden wir uns in eine Bar mit großen Balkon am Park zu gehen. Mit einen kühlen Red Stripe wurde das Treiben unter uns auf den Straßen begutachtet. Ein lautes Gewusel.
Aber nun zum Fußball. Uns erwartete ein schönes Stadion. Der Anthony Spaulding Sports Complex ist nicht die eigentliche Spielstätte vom Molynes United F.C. In Jamaika war bei unserer Reise immer ein wenig Recherche notwendig um die aktuelle Spielstätten herauszufinden. Da die Vereine diese oft wechselten und nicht, wenn sie denn eine hatten, in ihrer Heimspielstätte spielten. M. lieferte da aber wieder. Eintritt durften wir bezahlen ohne jedoch einen Gegenwert in Form eines Tickets zu bekommen. Für M. und mich jedenfalls nervend. Die Anderen teilen diese Sammelleidenschaft nicht mit uns. Diese Frage klären wir später. Wir durften erneut, so wie gestern bei Waterhouse FC, mit dem Auto auf das Stadiongelände fahren. Und wer war wieder Ordner? Unser Mike von gestern, welcher uns den Fifa-Menschen vorstellte, der uns einen Telefonkontakt vermittelte wo letztendlich keiner ran ging. Großes Hallo von allen. Als ob wir hier dazugehören würden. So gefällt uns das. Mike meinte gleich er klärt das mit den Tickets. Guter Mann und später mehr dazu. Also ab die zwei Stehplatztribünen erkunden. War bis zum Anstoß noch Zeit und wenig los auf den Traversen. So waren wir von einigen Kids das Ziel der Begierde, um uns ihre Süßigkeiten zu verkaufen. Die Racker hatten echt coole Sprüche drauf.
„Ey, support me, buy my popcorn!“
„My sweets are the best, buy it!“
„I need money, buy my popcorn“
Da wir aber kein Popcorn im Stadion essen, ging auch nichts über die imaginäre Ladentheke. So kamen die Jungs in regelmäßigen Abständen zu uns und fragten einfach nur nach Geld. Wenn wir ihnen beim Getränkekauf oder einer Fotorunde entgegen kamen, hörten wir nur,
„The white people coming“
Mit sowas können wir umgehen, wir sind ja keine Babelsberger. Und die Jungs nervten ja auch nicht wirklich. Zum Spiel kann ich gar nix sagen, zu viele Impressionen welche uns ablenkten und das kulinarische Angebot war auch nicht von schlechten Eltern. Die üblichen harten Getränke gab es, so wie gestern auch, aber der große Grill welcher noch angeheizt wurde inklusive die zwei großen Töpfe die schon ordentlich dampften, zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich.
Die Grillmeisterin meinte zu uns es gibt später Hähnchen vom Grill! Uh ok, wir sitzen da oben und sie soll uns ein Zeichen geben wenn die Köstlichkeiten durch sind. Daumen nach oben. So wurden mal die Töpfe inspiziert. Lobster- und Hühnersuppe stand auf der Speisekarte. Der stille Teilhaber wählte letzteres und ich ersteres. War jetzt nicht die Welle, aber exotisch. Exotisch wurde es dann richtig als beim Bierathlet auf ein Mal ein abgetrennter Hühnerfuß aus der Suppe auf dem Löffel zum Vorschein kam. Um Himmels, da war mal ein ganzes Huhn dran. Wir guckten wahrscheinlich so unglaublich wie die Einheimischen wenn wir Weißbrote um die Ecke gedaggelt kommen. Das würde sich bei uns nicht durchsetzen. Ihr merkt wir beschäftigen uns nicht wirklich mit dem Spiel. Gegen Mitte der zweiten Halbzeit kam die Frage auf, ob nach Abpfiff zur Unterkunft gestartet wird oder das zweite Spiel im Anthony Spaulding Sports Complex geschaut wird. Anthony Spaulding war im übrigen ein Politiker. Es werden anscheinend immer oder jedenfalls öfters zwei Spiel nacheinander in den Stadien durchgeführt. Wir spekulierten, dass dies pragmatischer für alle Beteiligten wäre (Verband, Caterer, TV usw.) War gestern so und auch heute. Wir sind bei uns immer sehr demokratisch, wie es sich für korrekte Menschen gehört und es wurde abgestimmt. 4 zu 1 für das zweite Spiel. Interessanterweise wollte als einziger der Fahrer los, aber BanjaLucas beugte sich der demokratischen Mehrheit. Ein lupenreiner Demokrat eben. Wir beruhigten ihn damit das May Pen, wo sich unsere Unterkunft befand, nur eine knappe Stunde weg ist und es dort überhaupt nichts zu sehen gibt. Natürlich hatten wir nicht den Hauch einer Ahnung. Und außerdem ist es doch besser hier im Stadion an der frischen Luft Fußball zu gucken, anstatt im langweiligen May Pen rum zu sitzen. Unsere Entscheidung war auf alle Fälle richtig. Wir hatten nämlich in der Unterkunft weder eine Klimaanlage, noch Wlan. Ihr könnt selbst entscheiden was in Jamaika wichtiger ist.
(Der Kulturbeauftragte)
Eine neue Ausgabe des "Abhaun!" ist erschienen. Nach 11 Jahren geht die Abhaun-Reihe mit der 6. Ausgabe weiter. Ein Klick auf das Bild bringt euch zu den weiteren Informationen.
Devon House Bakery-Kingston
Patties
Devon House
Bob Marley Museum-Kingston
Blick auf Kingston vom Golden Acres Resort
Seaview Gardens Viertel-Kingston
im Seaview Gardens Viertel
am Nelson Mandela Park-Kingston
Nelson Mandela Park-Kingston