Tag: 15. Januar 2024

¡A La Cancha! Nr.6+7¡A La Cancha! Nr.6+7

Das aktuelle ¡A La Cancha! kam als Doppelausgabe aus Gelsenkirchen daher. Die Nummer 6 beschreibt die Saison 2022/23 und die 7 lockt mit dem Untertitel „le Tour de France“. Da huschte sofort ein Grinsen über mein Gesicht und welche Ausgabe als erstes gelesen wird, war also klar. Ähnlich wie in der Ausgabe „ Ein Fußballjahr in Chile & Umgebung „ worin Sören, einer der Autoren, seine Erlebnisse im Land an den Anden wiedergibt, beleuchtet Jannik seine Zeit in Frankreich. Er beschreibt in einen ausführlichen Prolog die Hintergründe seines Frankreichaufenthaltes. Da wird das Proletariat immer leicht neidisch, aber natürlich gönne ich jeden diese Option des studentischen Lebens. Im Inhaltsverzeichnis fiel mir sofort auf, dass die aufgeführten Spiele in der Ligue 1 und Ligue 2 angepfiffen wurden. Die einzige Ausnahme war die Association Sportive de Cannes aus der National 3. Ein Spiel im benachbarten Spanien und ein paar „Kurzberichte aus der endlosen Winterpause“ vervollständigen das Heft. Aber nicht ganz, die charakteristischen Seitensprünge des ¡A La Cancha!, über welche ich schon in meinen Rezensionen der Nummern 1, 2 und 4 schrieb, waren natürlich auch wieder enthalten und bekamen meine vollste Aufmerksamkeit.

Schon der erste Bericht aus Nantes gegen Lille war subjektiv gesehen sehr interessant. Im März 2019 war ich bei derselben Spielpaarung und besuchten das Stade de la Beaujoire – Louis Fonteneau, mit der respektierten Brigade Loire. Welche von Jannik positiv umschrieben wird. Die Gäste um die Douger Virage Est kommen aber in seinen Text nicht gut weg. Klar es ist seine persönliche Meinung und auch immer situationsabhängig. Nicht jede Kurve kann ausrasten und wie die Marseillais sein. Aber Jannik nörgelt dann im Laufe der Berichte doch recht viel, gegen alles und jeden. Macht für mich den Eindruck, dass der Spaß da auf der Strecke bleibt. Kleine Vereine schlecht reden, aber unbedingt die Ligue 1 komplettieren. Man fährt doch nicht zu ES Troyes gegen Angers SCO und ist überrascht darüber, dass das Dargebotene kein Highlight wird. Schade da schwingt mir zu viel Negativität mit. Nun gut. Was ich aber jetzt absolut nicht nachvollziehen konnte war, dass Jannik dann auch noch über diverse Fanszenen oder Vereine abfällig schreibt. Das Publikum bei Clermont Foot nennt er Bastarde. In Troyes waren ein paar sexistische Rentner Bastarde, in Villarreal dann wieder das ganze Publikum, da sie am lautesten waren, als auf der Leinwand küssende Paare gezeigt wurden. Natürlich ist sinnlos, brauch Mensch nicht beim Fussball, aber das komplette Stadion als Bastarde zu betiteln, mmh… In Lorient versteht man die Schweine wegen ihres bretonischen Dialektes dann nicht. Ohje Ohje.

Der erste Seitensprung wurde, nachdem Spielbesuch PSG gegen Stade Brestois gemacht. Passendweise über den Kop of Boulogne „Tribune Boulogne – neue Gruppen, alte Probleme“
Neben der bekannten und wieder aktiven Virage Auteuil mit dem Collectif Ultras Paris (CUP) war der Kop das Gegenstück zur Virage Auteuil. Und dieses „gegen“ sollte man hier wörtlich nehmen. Jannik geht nicht auf die Vergangenheit beider Kurven und deren Probleme ein, sondern erklärt den Status quo der Tribune Boulogne. Welche Gruppen sich nach der Schließung des Kop’s gegründet und warum auch wieder aufgelöst haben. Fand ich interessant, da meistens nur das CUP in unseren Breitengraden wahrgenommen und beachtet wird.
Der Seitensprung Nummer zwei baut auf dem Spielbericht zwischen Stade Rennais und Nantes auf, dort durften keine Gästefans anreisen und so beleuchtet Jannik die „Repressionen in der Saison 2022/23“ Interessant der Hinweis zu dem Account von ORTFr auf der Social-Media-Plattform X. Diesen kannte ich auch noch gar nicht.

So ein wenig ähneln sich die Berichte im Laufe des Heftes dann aber doch schon, Arbeit in Paris, Anreise mit dem Zug, Hotel, Spiel, zurück zum Hotel, zum Spiel am Sonntag, Abreise mit dem Zug. Jannik gibt dies auch offen im Text bei Lorient zu. Was aber verständlich bei nur einem Schreiber ist. Der Text zum Spiel von Montpellier HSC gegen Stade Reims war für mich dann einer der Besten. Gute Erklärungen und Erläuterungen über Stadt, Gesellschaft oder die Choreografie. Aber was mir am meisten gefallen hat, er ist positiv geschrieben. Nicht falsch verstehen, aber in einigen Spielberichten empfand ich den Grundtenor als zu pessimistisch und nörgelnd.

Der dritte und letzte Seitensprung befasst sich mit dem „Rapport Bauer„. Im einzeln wird erklärt wer Alain Bauer ist, was der Rapport beinhaltet bzw. dahinter steckt, was die französischen Fanszenen dagegen haben und welche Aktionen als Protest organisiert wurden.
Definitiv sind die Seitensprünge das Merkmal des ¡A La Cancha!. Nicht nur, dass die Texte den Lesefluss und das Heft auflockern, es werden sich Gedanken gemacht, und mit Recherche Informationen an die Leser und Leserinnen vermittelt. Sehr, sehr gut.

Tatsächlich schließt Jannik sein Heft mit der krampfhaften Komplettierung der Ligue 1. Wenn dies die Prioritäten sind, dann gehen einen solche Hochkaräter wie AS Saint-Étienne, FC Girondins de Bordeaux oder interessante Clubs/Fanszenen wie die vom Sporting Club de Bastia durch die Lappen. Aber evtl. wurden diese Clubs schon besucht bzw. werden noch besucht.
Da es hier aber nicht um persönliche Vorlieben geht, wie man eine “Ground macht“ oder eine Liga komplettiert, sondern wie ich das ¡A La Cancha! – le Tour de France einschätze, belasse ich es damit. Ein wenig mehr Tiefgang bei den einzelnen gesehen Fangruppen hätte ich mir da schon gewünscht. Da Jannik in Frankreich gelebt hatte, hätte sich auch angeboten über die französischen Eigenheiten der Regionen (z.B. Bretagne, Korsika, Elsass oder Lothringen) zu schreiben. Auch das man sich in Frankreich einig ist und zwar in allen Landesteilen, nur eine Gemeinsamkeit zu haben, nämlich dass alle Paris hassen, wäre ein Thema, welches sich angeboten hätte.

So bleibt Jannik in seinen Ausführungen sehr oft an der Oberfläche. Als Relativierung schreibt er aber auch, dass er nicht sehr lange in Paris arbeitete und durch die Wochenendreisen keine Kontakte zu anderen Leuten knüpfen konnte und so auch nicht groß mit Einheimischen ins Gespräch kam.

Einmal das Heft gedreht und weiter mit der Nummer 6 der Doppelausgabe des ¡A La Cancha! Wie in den vorherigen Heften verfassen 3 Schreiber ihre Eindrücke zu ihren besuchten Spielen. Wahrlich Kontinuität.

Die Bandbreite erstreckt sich, wie auch im Vorwort beschrieben, über 33 Berichte aus 19 Ländern. Exemplarisch nenne ich hier mal die Schweiz, Italien, Deutschland (z. B. Los Ostwochos) und länderübergreifend den Balkan. Aber auch größere Reisen in den Senegal und nach Gambia bzw. zum Pokalfinale in Malaysia, Thailand und Singapur finden sich vertextlicht im Heft. Also ein ordentliches Potpourri. Die Seitensprünge behandeln „Geteilte Städte auf den Balkan – Von Mostar bis zur Belagerung der Festung Skopsko Kale in Skopje“, den Italienberichten angeschlossen „Der Tod von Celestino Colombi“, für den Asienpart „Brunei DPMM FC – Ein Meister aus dem Ausland „ und für Marokko „Fankultur und Repression in Tanger“
Mein textliches Highlight waren die Berichte der Tour nach Thailand, Malaysia und Singapore bzw. die Reise in den Senegal und nach Gambia welche fünf Spielberichte beinhaltet.
Nicht nur durch den Exotik-Faktor, sondern auch inhaltlich. Ich mag es zugegebenermaßen, wenn ein Autor oder eine Autorin persönliche Einflüsse bzw. Ansichten in die Texte einbringt. Da diese meist nicht neutral, sondern emotional und kontrovers verfasst werden. Auf solchen Trips geht natürlich auch mal etwas schief, es kommen Highlights dazu, welche man vor Abfahrt noch gar nicht auf dem Schirm hatte und die Reise verändert sich regelmäßig, da man sich den lokalen Gegebenheiten oder den kurzfristigen Spielansetzungen geschuldet anpasst. So kam es, dass sich der senegalesische Taxifahrer für die Schalker grade machte und sich mit anderen Einheimischen gepflegt boxte. Sowas will man doch lesen.
Der Asienbericht wurde auch sehr unterhaltsam und informativ verfasst. Nur warum ich bei Scheißhausgeschichten in Malaysia lachen muss wie ein Kind, werde ich in diesen Leben nicht mehr verstehen. Köstlich formuliert.
(Der Kulturbeauftragte)