Nun hat ja ein Jeder so seine Macken, im Bezug auf den Fußballtourismus. Der Eine hat eine ausgeprägte Hartplatzaffinität, den Anderen zieht es nach Polen und eine meiner Macken war es, die Stadien der großen Prager Vereine zu komplettieren. Nach Sparta, Dukla und den Bohemians fehlte nur noch Slavia in der Vitrine. Aus mannigfaltigen Gründen gelang es mir bisher nicht, der Fortuna-Arena einen Besuch abzustatten. Mal spielte der Herzenzverein parallel, mal passte die Terminierung nicht zur Arbeitszeit und mal war ich im Urlaub. Diesmal passte es eigentlich auch wieder nicht aber ich habe (auch, wenn es überstrapaziert wird) die Brechstange rausgeholt. Und ja, einiges an Kritik ist mir auch entgegengeschlagen. Aber, wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein. Der Tag begann mit einem richtig entspannten Besuch bei Rotation Dresden, zur Morgenstunde. Diese spielten, in der Landesklasse Ost, gegen den Radeberger SV. Ich kam zu dem Spiel, wie die Jungfrau zum Kind. Ich ließ mich, wie so oft, von M dazu überreden. Der Gute weiß, welche Knöpfe er drücken muss. Wir haben dann, und so ehrlich muss man sein, die Zeit genutzt, um mal ein bisschen ausgiebiger zu quatschen, im gepflegten Fußballrahmen. Direkt nach Abpfiff habe ich mich auf den Weg nach Prag gemacht. Die Freude war groß, als ich bemerkte, dass der Parkplatz meiner Wahl, nahe dem Stadion der Bohemians lag (Ďolíček). Mit dem Stadion verbinde ich schöne Erinnerungen an die Anfangstage, als ich mit dem Schlatzinspektor unterwegs war. Und sind wir mal ehrlich, so ein Kangaroo im Wappen macht doch gleich gute Laune. Die Fortuna-Arena lag gerade einmal 15 Gehminuten entfernt, so hatte ich noch ausreichend Zeit mich ein wenig umzusehen. Der Tag stand unter dem Motto „Sparta Kurva Je“ (Sparta ist eine Hure). Dafür hatten Jungs und Mädels der Tribuna Sever eigens Mottonickis anfertigen lassen. Verkauft wurden diese bereits Tage vorher im Laden der Ultras, so dass schon jede Menge Menschen damit unterwegs waren. Putzig anzusehen, wenn einem eine komplette Familie, nebst Kindern, in den Nickis entgegenkommt. Ein Tscheche, der auf der Suche nach Karten war, hat mich angesprochen. Mit dem Guten habe ich mich eine Weile unterhalten. Es stellte sich heraus, dass er in München arbeitet und alle drei Wochen in die Heimat fährt. Natürlich war eines der Themengebiete, welche wir beackerten, dass tschechische Bier. Sein Favorit war Pilsner; O-Ton: „Pilsner ist meine große Liebe. Das bayerische Bier schmeckt wie Wasser“. Das lasse ich mal so stehen. Ich hoffe du bist noch reingekommen, mein Guter. Im Stadion habe ich mir das Mottonicki gesichert, in dem ich mich von rechts angestellt habe und mich von den Verkäufern beschimpfen lassen musste. Aber, ein fragender Blick und eine englische Nachfrage und ich hatte das Nicki in der Hand. Dafür wechselten 200 tschechische Kronen (etwa 8 €) den Besitzer. Ich bin nicht stolz darauf. Vor dem Spiel fand viel Erstligaspektakel statt. Zunächst spielte eine Saxophonistin irgendwelche Fußballlieder, anschließend eine Geigerin und dann lief ein Typ mit einer Nicki-Kanone herum und brachte das Schlechteste in den Menschen zum Vorschein. Abgründe taten sich auf, weil sich der Pöbel um das Objekt der Begierde stritt. Die Mannschaftsaufstellung von Slavia wurde verlesen und jeder Name musste 3x gebrüllt werden. Dann betraten die Gladiatoren, zwischen sprühenden Feuersäulen den Rasen. Ähnliches habe ich mal in Lissabon gesehen. Es hat mir nicht gefallen. Noch der tschechischen Nationalhymne zugehört und los gings. Auf der Tribuna Sever wurde direkt eine riesige Blockfahne hochgezogen, die nahezu den ganzen Block bedeckte. Die Fahne wurde ewig gehalten. Das waren sicher 7 oder 8 Minuten. Irgendwann gingen, um die Fahne herum noch Fackeln an. Was für ein Spektakel, sah richtig gut aus. Auf Seiten von Sparta gab es kein Intro.
Für mich sah es aus, als ob der Gästebereich auch nicht ganz voll gewesen wäre. Die Stimmung in Hälfte 1 bleibt jedenfalls nicht in Erinnerung. Auch war das Zaunsfahnenbild ziemlich jämmerlich. Nachdem sich der Rauch aus der Heimkurve verzogen hatte, legte die Kurve los. Die Lieder kamen in ordentlicher Lautstärke zu mir herüber. Man verlegte sich eher auf das Beschimpfen der Gäste, als auf die Unterstützung der eigenen Mannschaft, dabei stieg das ganze Stadion mit ein. Auch ein paar Suffassis auf meiner Seite beschäftigten sich 90 Minuten lang damit, die Gegner mit einem Potpourri aus Beleidigungen zu überdecken. Besonders mein Nachbar tat sich, im Beisein seines kleinen Sohnes, mit Wutausbrüchen derber Art hervor. Als ob die erste Choreo nicht gereicht hätte, folgte eine Papptafelchoreo über die Heimkurve und die Gegengerade mit dem Motto des Tages. Nach den beiden ersten Choreos, wurden vor Ende der ersten Halbzeit 4 Folienbahnen mit dem Gründungjahr 1892 entrollt, erneut garniert mit ein paar Fackeln. Was für eine erste Hälfte, jede Menge Gepöbel, drei Choreos, Pyro und ja, Fußball wurde auch gespielt. Slavia ging mit einer 1:0 Führung (Elfmeter) in die Pause. Spiele in denen das Geschehen auf den Rängen, das auf dem Rasen überstrahlt, sind mir die liebsten. Allerding muss in Halbzeit 2 auch über den Fußball gesprochen werden. Aber vor dem Fußball hat Gott das Intro der Spartiaten gesetzt. Diese hatten sich für die zweite Hälfte etwas mehr vorgenommen und spannten eine Blockfahne, mit der Silhouette Prags, über ihr Kuchenstück. Auch hier wurde, an den Rändern, wieder mit Pyro gearbeitet, sah gut aus. Eine freundliche Dame des Sicherheitsdienstes erlaubte mir, von ihrem Platz aus, zu fotografieren, da ich den Gästebreich, von meinem Platz aus, nicht optimal einsehen konnte, Tiki. Der Sparta-Mob rieb sich jetzt mit Pöbeleien am Zaun zum Heimbereich auf. Ein Slaviafan trieb es gar so weit, dass er von mehreren Securitys herausgeschleppt wurde. Das Spielgeschehen wurde so hitzig, dass aus dem Gästeblock mehrere Böller flogen und nun rastete das komplette Stadion aus. Beleidigungsorkane flogen hin und her, überall Drohgebärden und wütende Gesichter, einfach herrlich. Auf dem Platz ging es nicht weniger wild zu, eine Spielertraube folgte der nächsten. Alles kulminierte, als ein Spartaspieler von einem Slaviaverteidiger niedergestreckt wurde und der Schiri das Spiel weiterlaufen ließ und daraufhin ein Mannschaftskollege, als Revanche, den Slaviaspieler an der Außenlinie umflexte. Nun kamen noch die Trainerbänke hinzu, es war das reinste Wespennest. Tosender Jubel, mehr noch als beim Tor, als ein Spartaspieler mit rot vom Platz flog. Am Ende drückten die Gäste und fingen sich einen Konter ein, der zum 2:0 führte. Doch nichts wars. Der VAR hatte ein Handspiel erkannt und aus dem 2:0 für Slavia wurde wieder ein 1:0 und Elfmeter Sparta. Mit dem Schlusspfiff erzielte Sparta den Ausgleich und der Gästeblock explodierte. Auf dem Zaun wurde die Heimseite verhöhnt und die Mannschaft gefeiert, während die Slavia-Spieler bedröppelt in ihre Kurve stapften. Ich war glücklich und belohnte mich mit einer weiteren Klobasa, die ich mir auf dem Weg zum Auto schmecken ließ. Die 525 km Heimreise taten nochmal weh, aber das war es Wert. Das Prag-Derby hatte es in sich und ich mag die Tschechen noch ein bisschen mehr,…wenn das überhaupt geht.
Serge
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