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Auch wenn unser Jörgi diesmal nicht mit bei unseren kleinen Italienwochenende dabei war, fanden wir auf Anhieb ein gutes italienisches Restaurant in Terni.
So konnten also die Limoncello-Festspiele beginnen. Terni eine Stadt im südlichen Umbrien, knapp 100km nordöstlich von Rom gelegen, wirkte bei unserer Ankunft nicht sehr belebt. So war es goldwert, dass sich der stille Teilhaber bei der Planung gleich ein geöffnetes Restaurant in die to do Liste kritzelte. Bellissimo!
Nur bei der Bestellung der Karaffe Wein zeigte er wieder sein wahres Gesicht. Er orderte tatsächlich ein Liter Wein mit Gas. Er war sich seiner Sache so sicher, dass er dies mit spanischen Vokabular tat. Oh Mann, ein waschechter Kosmopolit. Nun denn, am Ende war es Sekt, ein Liter Sekt in der Karaffe. Der Südbrandenburger hatte damit erstmal kein Problem, nur Bedenken, dass wir es nicht austrinken würden. Aber was auf dem Tisch steht, bleibt auf dem Tisch.
Ich wollte zwar einen Bianco della Casa und bekomme Rotkäppchen, aber wir saßen ja eine Weile und jeder bekam seine Wünsche erfüllt.
Am nächsten Tag starteten wir dann eine kleine Runde durch die Stadt. Sehr viel gab es nicht zu sehen, also ging es Richtung Stadio Libero Liberati die Tickets kaufen. Danach ging es, mangels weiterer Kulturpunkte und unserer Bequemlichkeit geschuldet, in eine Bar mit angeschlossener Pizzeria.
Die junge hübsche Bedienung hatte echt Spaß mit uns und wir mit ihr. Anscheinend gaben unsere kläglichen Versuche auf italienisch zu bestellen einen sympathischen Eindruck ab. Doktor Duvel wurde leicht rot als sie lachen musste bei seinen Bestellversuch. Die Bedienung war aber so freundlich und klärte für unseren Schalsammler ab, dass er an sein Objekt der Begierde kommen konnte. Mir gefiel der angebotene Schal ebenfalls und so kaufte ich mir auch einen. Ich finde ja die drei Vereinsfarben von Ternana Calcio schon geil und dann noch mit den beiden Sprüche auf dem Schal, Deal! Wir konnten uns schon in der Bar denken, dass es sich um Fanclubschals handeln würde und so war ich nicht sehr überrascht die passende Zaun- und Schwenkfahne später im Stadion in der Curva Est zu erblicken. Locker ungezwungen alles. So verziehen wir auch die mehrmaligen Fragen von den Tifosi, ob wir St. Paulianer wären. Ne Ragazzi sind wir nicht. Irgendwann hieß auf zum Stadio Libero Liberati. Tja wo fang ich jetzt mal an? Mit dem utopischen Ausblick auf die Berge und die Stadt? Diesen schönen Gammelfaktor? Diese Bauweise an sich? Die interessante Tifoseria? Oder dass die Tage dieses Fußballstadions mit Wiedererkennungswert leider gezählt sind? Ja, es soll wohl an gleicher Stelle ein Neubau errichtet werden. Ich denke es versteht sich, dass dieser nur eine Verschlechterung für Fußballromantiker, wie wir welche sind, hervorbringen wird.
Das Ziel zur Fertigstellung ist 2025, zum 100. Vereinsjubiläum. Ob dies realisiert wird scheint jedoch fraglich.
Ich möchte noch kurz aus dem Bericht vom Doktor Duvel in unserer Luis-Gruppe zitieren, welche die Bauweise des Stadio Libero Liberati gut beschreibt „Ich stelle mir die Architekten von damals vor: „wollen wir die 4 Sitzreihen nicht einfach in den zweiten Rang packen? Ach Quatsch daraus machen wir einen extra dritten Rang“ „ Und genau dort bezogen wir unsere Plätze. Mit Birra, Borghetti und guter Laune ausgestattet. Wir sind ja schon recht mitteilungsbedürftig und so dauerte es nicht lange und wir kamen mit einigen Ragazzi ins Gespräch.
„Nein St. Pauli sind wir nicht, aber ihr habt ein geiles Stadion! „ Sie nickten und wir kamen über den Neubau, die Tifoseria und das Gästeverbot für die Modenesi ins Plaudern.
Sie freuen sich jedenfalls auf den Umbau ihrer Heimspielstätte. Was wir natürlich auch nachvollziehen können. Aber auch sie verstanden unsere Ansicht gegenüber dem Neubau. Es war ein locker flockiges Gespräch. Als sich zwei von den Vieren als Modena Fans outeten, welche inkognito angereist waren, war natürlich unserer Fragerunde Tür und Tür geöffnet.
Uns wurde erklärt, dass die Fanszene aus Modena nicht anreisen durfte (trotz schon gebuchter Tickets und Bussen) da ihr Rivale AC Reggiana ebenfalls ein Auswärtsspiel hatte und zwar in San Donato Tavarnelle. Die Prefettura di Terni sah darin die Gefahr, dass sich beide Fanszenen auf der Anreise treffen könnten und die öffentliche Ordnung gestört werden könnte. Schöner Mist. So konnten Zuschauer welche aus der Regione Emilia Romagna stammen selbst keine Karten mehr bekommen bzw. die schon gekauften Karten wurden storniert. Das Spiel plätschert so vor sich hin und war auch ein schönes Mittelfeldduell, 9. gegen 10. Die Rot-Grün-Gelben Kicker führten relativ schnell mit 2:0 und die Blau-Gelben konnten nur noch in der 2. Halbzeit den Anschlusstreffer erzielen.
Unsere neuen Kumpels für 90 Minuten gaben uns derweil Birra und Borghetti aus und wir revanchierten uns als gute Gäste natürlich. So wurde weiter erläutert, dass die Fanszene sehr politisiert ist (Curva Est) und die Abspaltung in die Nordkurve auch ein klein wenig damit zusammenhängt. Die Freak Brothers waren und sind in der italienischen Ultra- und Fanwelt eine sehr renommierte Gruppe. Gegründet 1980, explizit links und antirassistisch. Eine größere Anzahl Ultras aus dem Osten spaltete sich dann in der Saison 1989/90 ab und ging in den Norden, da dieser Standort auch fanmäßig eine wichtige Rolle in der Geschichte der Tifoseria besitzt. Auch die Freak Brothers standen eine Zeitlang dort, bevor sie in die Curva Est wechselten. Dort begann die Unterstützung der Fere, die Bestie, Spitzname für das Team, in den 1970iger Jahren erstmalig. Ein weiterer Faktor für die Abspaltung war, dass einige Gruppen unabhängiger, eigenständiger, komplett autark und apolitisch sein wollten, nur das Trikot der Fere sollte im Mittelpunkt der Unterstützung stehen. An der Balustrade konnten man auch heute die Zaunfahnen des z.B. Park Kaos 1989, Irish Clan Ternana 1991, Panze Allegre oder der Psycho Group sehen. Heute formiert man sich hinter der Curva Nord Zaunfahne, gegründet 2012 und war quantitativ besser aufgestellt und dementsprechend auch lauter zu vernehmen. Sie zeigten auch vor dem Anpfiff ein Solispruchband für die Gäste. Solidali con gli amici di Modena – Solidarität mit den Freunden von Modena. Daumen von uns natürlich nach oben. Im Osten hängt leider schon sehr lange nicht mehr die Fahne von den Freak Brothers. Die Gruppe INTACCATI, gegründet 2017, führt die Curva Est. Wie man liest hat die Nordkurve der traditionellen Ost den Rang abgelaufen. Dies war auch unsere Wahrnehmung für heute. Ist ja immer nur eine subjektive Momentaufnahme. Nach Abpfiff wurde sich, von den Vieren herzlich verabschiedet.
Schon während des Spieles bemerkten wir, wie einer der inkognito angereisten Tifosi aus Modena sich mit drei Jungs in unserer Nähe unterhielt. Wir verorteten sie dementsprechend auch als Gästefans und wünschten ihnen beim rausgehen eine gute Heimfahrt. So kamen wir auch mit ihnen ins Gespräch. Zu unserer großen Verwunderung waren es aber Römer, welche sich, so wie wir, das Stadion und das Spiel ansahen. Wir hingegen konnten die Jungs überraschen, indem wir Rom als unser nächstes Ziel nannten. Man verabredete sich für den gleichen Zug. Wenn schon Zufälle, dann richtig. Die drei waren eine interessante Combo. Einmal Lazio und zweimal Roma. Teilweise Schulfreunde von früher. Die Rückfahrt wurde quatschend und fragend wie im Flug verbracht. Sehr sympathisch. Klar war, dass wir uns mit dem Laziali vor dem morgigen Spiel bei Lazio nochmal treffen wollten.
Ab ins Hotel und ab in die Stadt. Wir wollten Rom bei Nacht. Drei Uhr morgens kamen wir wieder komplett kaputt und müde, aber sehr zufrieden, in unseren Zimmer an. Licht aus.
Rom bei Nacht, ein Träumchen!
(Der Kulturbeauftragte)
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