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Jambo meine lieben zwei Stammleser. Hier melden sich wieder eure Luis. Für unsere illustre Reisegruppe ging es nach der Südamerika-, Karibik- und Kaukasus-Tour, diesmal nach Ostafrika. Geplant waren die Länder Tansania mit Sansibar, Uganda und Kenia. Wir haben nach den anderen Touren entschieden, weniger im Voraus zu reservieren oder zu buchen. Unseren Reiseplan hatten wir natürlich gemacht, aber auf solchen Trips klappt nicht immer alles. Man modelt mal etwas um, weil dort ein unerwartetes Spiel geschaut werden kann, ein Anderes dafür abgesagt bzw. verlegt wird oder wir eine neue touristische Sehenswürdigkeit einbauen wollen. So hatten wir nur die Flüge, die Ostafrika-Visa und die ersten Übernachtungen, in der größten Stadt Tansanias, in Dar es Salaam gebucht. Der Rest wird dann auf der Tour geschaut. So fahren wir definitiv besser und wir sind flexibler.
Neu an Bord war diesmal der Schriftsteller. Ich muss zugeben, wir bei kopane bringen mit unseren Abhaun ein feines Fanzine auf den Markt, aber der Schriftsteller und seine Freundin geben sich mit so etwas popligen nicht zufrieden. Ein Buch geht auf ihren Nacken. Das müssen übrigens diese Fussballprolls sein, von denen die Presse immer fabuliert. Auf dem Hinflug machte uns der Schriftsteller mit seiner Aussage ganz wuschig, dass es auf Turkish Airlines-Flügen Gin Tonic für umme gäbe. Als seine Behauptung der Realität nicht standhalten konnte, war seine Begründung 2017 bei seinem letzten Flug wäre dies so gewesen. Die abgefeuerten Spitzen in seine Richtung waren deshalb obligatorisch und somit ist er in unserer Luis-Reisegruppe angekommen. Eener von uns.
Dar es Salaam also. Im Osten Tansanias gelegen. Die größte Stadt des Landes, mit dem größten Hafen, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des ostafrikanischen Staates und auch der Regierungssitz befindet sich hier. Aber es ist nicht die Hauptstadt. Diese ist seit 1974 Dodoma.
In Istanbul traf sich unsere Reisegruppe, Sektion Ost startete in Berlin und so ging es gemeinsam weiter Richtung Ostafrika. Bei unserer Landung, in der türkischen Metropole, hatte der Pilot noch mit Windböen zu kämpfen und startete den Vogel kurz vor dem Aufsetzen nochmal durch. Da guckten wir drei, der Sportliche, der Schriftsteller und ich nicht schlecht. Nun ja, brauche ich definitiv nicht öfters.
Nach der unspektakulären Ankunft am Julius Nyerere International Airport in Dar es Salaam, wurde zum Hostel geubert und schnellen Schrittes noch ein Restaurant in der Nähe angesteuert. Dieses entpuppte sich dann auch als Glücksgriff. Super Essen, die Bedienung nett und nur für uns wurde der Grill nochmals angeheizt. So dauerte es eine Weile, bis die Bestellungen auf dem Tisch standen. Hatte aber den Vorteil, dass wir uns durch diverse lokale Biere testen konnten. Für mich gab es Hühnchen mit Gemüse und zum ersten Mal Ugali. Ein traditionelles Gericht in Ostafrika. Dafür werden Maiskörner zerstampft, der entstandene Grieß mit Salz in kochendes Wasser eingerührt und gewartet, bis es eine feste Konsistenz hat. Ugali wird dann als Beilage zu allen üblichen Gerichten gereicht. Es ist sehr sättigend. So waren unsere Mägen gefüllt und das Abenteuer Ostafrika konnte starten. Erster Tag, erstes Spiel. Die CFA Champions League Partie mit der Paarung Simba SC gegen den Al Ahly Sports Club aus Ägypten stand an. Wir spekulierten schon im Voraus, ob die respektierten Ultras Ahlawy aus Kairo anreisen werden. Doch später mehr dazu. Das Match fand im Benjamin Mkapa National Stadium statt. Übrigens auch unser morgiges Spiel zwischen den Young Africans gegen Mamelodi Sundowns. Am Nachmittag stand aber erstmal Kultur an. Man nennt mich ja den Kulturbeauftragten, doch in Dar es Salaam kann ich mit diesem Titel nur verlieren. Viel konnten wir nicht besichtigen. Den Fischmarkt, welchen wir fußläufig vom Hostel aus erreichten, entpuppte sich nicht wirklich fotogen. Wir merkten schon, Touristen kommen hier nicht her. Es war sehr vermüllt und die Einheimischen schauten uns doch recht verdutzt an. Aber sie grüßten nett. So kehrten wir pragmatisch neben den Markt für ein Mittagessen in eine Strandbar ein. Wieder wurde nur für uns der Grill angeschmissen und es dauerte erneut über anderthalb Stunden bis das Bestellte auf dem Tisch stand. Wir hatten den Eindruck, dass die Zutaten erst nach unseren Bestellungen eingekauft werden. Da wir aber keinen Zeitdruck hatten, wirkte alles entschleunigt und relaxt. Die Sonne brutzelte auch schön und wir mussten aufpassen nicht gleich am Anfang der Reise einen Sonnenbrand zu bekommen. Weiter im Kulturteil. Dieser war mit der Azania-Front-Kathedrale, der Saint Joseph Kathedrale, dem Old Boma, eines der ältesten Gebäude der Stadt, von einem Sultan 1866 erbaut und dem Askari Monument, ein Denkmal zu Ehren der afrikanischen Soldaten, welche für das britische Königreich gegen die Deutschen im Ersten Weltkrieg kämpften, schnell erledigt. Ich möchte euch gleich ein paar rudimentäre Worte zur geschichtlichen Einordnung und den Gegebenheiten Tansanias schreiben. Nach der Einschätzung einiger Paläoanthropologen ist Tansania die Wiege der Menschheit. Im ostafrikanischen Rift Valley wurden Ende der 50er Jahre Knochenfunde entdeckt, welche von einem 2 Millionen Jahre alten Menschen stammen. Das ist mal utopisch! In der näheren Gegenwart konnte sich Tansania nach den harten Kolonialzeiten Deutschlands von 1890 bis 1918 und des Britischen Empires zwischen 1921 und 1961, ein Jahr darauf in die Unabhängigkeit kämpfen. Der erste Staatspräsident wurde der Sozialist Julius Kambarage Nyerere. Da ihr hier alle aufmerksam mitlest, wisst ihr nun, warum unser Ankunftsairport heißt, wie er heißt. Was in der Kolonialzeit in Afrika oder auch in der Karibik an Gräueltaten gemacht wurde, möchten wir uns lieber nicht vorstellen. Der Wohlstand der damaligen Industriemächte, also auch unserer, baut auf diesem menschenverachtenden Mist auf. In der deutschen Unterdrückung nannte man den Kilimanjaro dann auch großkotzig „Deutschlands höchsten Berg“ oder den Gipfel zur „Kaiser-Wilhelm-Spitze“, was die ganze Arroganz der damaligen Zeit widerspiegelt.
Wie geschrieben, der kulturelle Teil nahm wenig Zeit in Anspruch und so konnten wir den organisatorischen Part abarbeiten. Hieß die Fährtickets nach Sansibar kaufen. Was auch unkompliziert am Verkaufsschalter ging. So schlawenzelten wir noch ein wenig durch die Straßen und wurden nun vermehrt von diversen Locals angesprochen, ihre künstlerischen Arbeiten zu kaufen. Aber ein Bild bzw. ein Plastikarmband in den Landesfarben brauchte keiner von uns. Ein Rastafari wirkte aber recht cool und lud uns ungezwungen in seine Bar unten am Hafen ein. Wir könnten dort gechillt ein paar Bierchen erwerben. So tappten wir mal in die Touri-Falle. Die ganzen Schnorrer und Bettler im Schlepptau kehrten wir in dieses Loch ein. Klar war das Bier für uns Weiße billig, aber dass hier Touri-Preise aufgerufen wurden, merkten wir ganz schnell. Die ganzen Schnorrer wollten sich auch noch auf unseren schon leicht rot verbrannten Nacken eins gönnen oder nervten weiter barbarisch, dass wir ihr Zeug kaufen. Es war wirklich unangenehm und anstrengend. So bezahlten wir und machten zum Stadion. Den Weg dorthin bewältigten wir mit zwei Tuk Tuk. Für mich war es die erste Fahrt in meinem Leben mit dieser sehr günstigen Autorikscha. Bis an das Benjamin Mkapa National Stadium konnten wir aber nicht heran. Die Straße, welche zum Stadion führte, wurde einfach durch querstehende LKW-Anhänger gesperrt und die Fans kamen nur zu Fuß drunter und drüber daran vorbei. Wenn man sich dieses mal für Deutschland vorstellen würde. Ach herrje lieber nicht. So, da standen wir nun. In diesem unfassbaren Gemenge und tausend Eindrücken. Wahnsinn was hier los war. Ich denke, wenn man in unseren Breitengraden ein Bild im Kopf hat, wie ein großes Spiel in Afrika sein würde, könnte ich jetzt schon das Erlebte als Blaupause darüber legen. Es sollte auch so weitergehen. Diese unfassbaren Menschenmassen, die in ihrer Vorfreude zum hell erleuchteten Stadion oder in die Bars strömten, welche einen Krach machten, der ein Vorgeschmack darauf sein sollte, was uns während des Spieles erwarten würde. Dieses für uns Riesenchaos, welches aber irgendwie immer funktionierte. Wir waren mehr als beeindruckt. Meine lieben zwei Stammleser, ihr habt Luis uff Achse gewollt, also bekommt ihr auch Luis uff Achse. Heißt, ab in die Bar, rein ins Getümmel, was erleben und die Eindrücke aufsaugen. Was draußen auf der Straße los war, wurde hier komprimiert auf kleinen Raum veredelt. Eine Party und wir mittendrin. Schon allein hier mussten wir ständig Fotowünsche der Simba-Fans erfüllen und sie natürlich auch unsere. Dies sollte uns auf unserer Ostafrika-Reise ständig begleiten. Nach einigen Bieren ging es dann für uns wieder raus ins Gewusel und ab ins Stadion. Die Eingangssituation war, sagen wir mal interessant. Am Eingang, ging es kurz geordnet zu, bis der Druck der Masse zu groß wurde und wir, samt Ordner, durch den Eingang geschoben wurden. Meine Sonnenbrille konnte damit nicht umgehen und konnte ohne Gläser entsorgt werden. Logischerweise rammelten wir in den falschen Block. Was für uns egal war, war das Signal eines jungen Security den Job seines Lebens zu machen. Wir mussten Mister Wichtig hinterher dackeln. Muss ja hier alles seine Ordnung haben. Er schob und diskutierte die Fans vor uns immer wieder weg. Was uns tierisch auf die Ketten ging. Aber wir sollten ihm unbedingt folgen. Na dann. Ein Bild für die Götter, als er sich erschrocken nach seinen weißen VIP’s umdrehte, aber diese einen Bierstand entdeckten und dort erstmal vorstellig wurden. Wusstet ihr, dass Ossis auch in Ostafrika klauen? Also ich nicht. Aber die Simba-Bierbecher waren einen Lui dieses Manöver wert. Na ja Mister Wichtig drängte, wir müssen unbedingt los. Am Drehkreuz zu unserem richtigen Block, verloren wir uns nur nicht aus den Augen, da die über den Köpfen kreisenden Bierbecher, die Standorte in der Menschenmasse verrieten. Das sah doch sehr ulkig aus. Am Eingang, wollte Mister Wichtig seinen verdienten Lohn, für was auch immer, haben. Er musste sich aber unserseits mit einem Asante sana begnügen. Soweit kommts noch. Endlich drin in der guten Stube. Es wurde alles auf sich wirken gelassen. Die schrillen Fans, angemalt, tanzend, schreiend, singend, geil. Es gab einen fliegenden Pyro-Verkäufer, also kein fliegendes Pyro, sondern nur einen Verkäufer, dieser drehte im Oberrang seine Runden. Er führte seine Ware den Fans sogar vor. Der Sportliche hatte so gehofft eine Fackel erwerben zu können, doch in den Unterrang kam der Händler nicht. Wir bemerkten sehr schnell das links von uns ein Bereich mit Gästefans war und tatsächlich die Ultras Ahlawy waren anwesend. Diese Gruppe ist vielen Fußballfans in Deutschland bekannt. Einmal durch die freundschaftlichen Kontakte zu den Corrillo’s vom SC Freiburg und weiter durch die Stadionkatastrophe am 1. Februar 2012 in Port Said. Dieses Unglück kostete 72 Menschen das Leben und es gab über 1.000 Verletzte. Zur Einordnung, die UA waren eine der renommiertesten Ultragruppe in Ägypten und Nordafrikas. Sie waren so stark und organisiert, dass sie bei den Demonstrationen gegen den damaligen ägyptischen Präsidenten Muhammad Mubarak in vorderster Front standen. Ihre führende Rolle im sogenannten Arabischen Frühling, welcher auch zum Sturz Mubaraks führte, waren dem nachfolgenden Militärrat aus hochrangigen Offizieren ein Dorn im Auge. Natürlich waren es nicht die Ultras, welche den Sturz des Staatsoberhauptes machten, aber sie waren eine gut organisierte agierende Gruppe, welche dadurch sichtbar für die Machthaber war. Sie waren also ein Problem. So kam es beim Auswärtsspiel bei al-Masry, im besagten Port Said zur Katastrophe. Am Ende des Spieles stürmten die Heimanhänger das Spielfeld und den Gästeblock. Mit Messern, Stöcken und Holzstangen bewaffnet, griffen sie die Gästefans aus Kairo an, welche verzweifelt versuchten den Sektor zu verlassen. Doch die Tore waren verschlossen. Die Polizei stand daneben und tat nichts gegen die sich anbahnende Tragödie. Es gibt die Annahme, dass diese Gewalt eine Strafe für die aktive Teilnahme von Al-Ahly-Fans an den Straßendemonstrationen war. Diese Katastrophe veränderte den ägyptischen Fußball und die ägyptische Fanwelt massiv. So wurden 2015 alle Ultra-Gruppen als terroristische Organisationen eingestuft und verboten. Die Ultras Ahlawy leben nun im Untergrund, in ihrer Heimat können sie nicht mehr zu den Spielen ihres Vereins gehen. Viele wurden verhaftet und bezahlten einen zu hohen Preis für ihre Leidenschaft. Ultras Ahlawy lösten, sich 2018 auf. Trotzdem zeigen sie bei Spielen ihres Al Ahly Sports Club im Ausland Präsenz. So wie heute in Dar es Salaam. Die umgedrehte Zaunfahne erkläre ich hier nicht, jeder, der hier mitliest versteht dies. Eine weitere Fahne mit der Aufschrift „74 Never Forget“ hatten sie auch dabei. Bei dem Massaker kamen 72 Fans ums Leben und bei den Protesten wurden 2 weitere Ultras Ahlawy erschossen. Deswegen die 74. Sie supporteten das gesamte Spiel über vermummt und hatten unseren tiefsten Respekt! Der Sportliche und ich gingen auch kurz im Unterrang in ihre Nähe, wo sie uns auch wahrnahmen. Unsere Daumen nach oben erwiderte sie ebenfalls und nickten uns zu. Mich berührte dies und ich wünsche ihnen Kraft und Ausdauer, ihre Leidenschaft und ihren Namen für immer aufrechtzuerhalten. Never Forget! So wie oft habe ich schon gelesen, dass es nach so ernsten Worten schwer ist, das Thema zu wechseln. Dem kann ich nur aufrichtig zustimmen.
Zum Anpfiff gab es einen Höllenlärm. Glaubt mir oder glaubt mir nicht, wir konnten uns nicht unterhalten. Es waren aber keine Fangesänge oder dergleichen. Diese Mischung aus Geschrei, Gejohle und Gegröle, dazu das Tröten der Vuvuzelas. Es war ein utopisches Spektakel. Der Dezibel-Wert flachte aber peu à peu ab. Da die Gäste aus Kairo schon in der 4. Minute den 1:0 Siegtreffer markieren konnten und der Simba SC keine wirkliche Antwort darauf hatte. Doch bei den Angriffen der Löwen, was Simba auf Swahili bedeutet, war das Stadion immer wieder da und hoffte auf den Ausgleich ihres Teams. Doch Al Ahly, Rekordtitelgewinner der CAF Champions League, vergleichbar mit der europäischen Champions League, spielte überlegen und abgezockt. So wurden letztlich beide Spiele des ägyptischen Teams gewonnen. Das heutige Hinspiel 1:0 und das Rückspiel 2:0. Wir konnten für uns mit einem breiten Grinsen das sich leerende Stadion verlassen.
Ein kleines Fazit erlaube ich mir, die Mischung aus dieser unbekannten Stadionkultur der Simba-Fans und die Anwesenheit der Gästefans im allgemeinen, mit den Ultras Ahlawy im Speziellen, war ein Start in die Tour, welcher nicht besser oder spannender hätte sein können. Ihr bemerkt, euer Kulturbeauftragte war wieder von allem schwer begeistert. Wie man mir nachsagt, eine meiner typischen Eigenschaften. So machte ich im Uber zum Hostel ein Nickerchen und kraulte aus Versehen den Fahrer von hinten am Kopf. Er war wohl kurz erschrocken, was der weiße Fahrgast auf der Rückbank da so treibt und das Kichern der anderen Luis war mein verdienter Lohn. Hakuna matata. (Der Kulturbeauftragte)
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selbst ist der Reisende mit Fußballhintergrund
kein fliegendes Pyro, dafür ein fliegender Pyro-Verkäufer
Vor dem Spiel, in der Bar
Erster Abend, heißt erster Restaurantbesuch
Old Boma, eines der ältesten Gebäude von Dar es Salaam
Saint Joseph Kathedrale
Azania-Front-Kathedrale
Askari Monument
Erste Tuk Tuk Fahrt