Da ich zu DDR-Zeiten keinen Kontakt zu unseren kommunistischen Brüdern aus der vietnamesischen Volksrepublik hatte, dachte ich, es wäre eine gute Idee, dies im Jahre 2022 nachzuholen.
Der 12 Stunden red-eye-flight war zwar nicht unbedingt mein Reisehighlight, aber was muss, das muss.
In Hanoi war ich sofort beigeistert, weil ein schlecht gelaunter Zollbeamter in grüner Uniform und roten Kragenspiegeln, unsere Einreise abgewickelt hat. Der erste Eindruck war perfekt.
Ein Mietfahrer kutschierte uns zu unserem Hotel und wir genossen das erste Getränk auf vietnamesischem Boden, etwas landestypisches, einen Cappuccino.
Direkt nachdem wir Geld abgehoben haben war die Freude groß, denn wir stiegen in den Kreis der Millionäre auf. Was bei einem Kurs von 1 : 24.000 auch nicht allzu schwer ist.
Nun stand die größte Herausforderung an. Wie überqueren wir die Straße? Wir wussten ja bereits von M‘s Besuch, das dies kein leichtes Unterfangen ist, aber so verrückt hatten wir es uns nicht vorgestellt.
Da Ampeln in Hanoi reinste Stromverschwendung sind und es keine Sau juckt, was welche Ampel anzeigt, muss man sich seinen Weg durch die unzähligen Mopeds bahnen. Am besten wartet man bis die Autos durch sind, dann läuft man einfach los, die Mopedfahrer umfahren einen schon. Das erste Mal ist noch ein richtiges Abenteuer, bei 5. Mal schaut man nicht mal mehr nach links oder rechts. Ja, auch in Einbahnstraßen sollte man in beide Richtungen schauen. Dennoch, ein solches Gewusel habe ich noch nie erlebt, das reinste „Verkehrsvietnam“.
Im Old Quarter haben wir uns ins Getümmel gestürzt. In diesem Stadtteil konnte man wohl früher mal richtig coolen, z.T. handgemachten, Kram kaufen, heute gibts hier nur noch Scheiße. Allerdings ist die Ladendichte irre.
Wer also mal eine „original“ North Face Tasche oder einen Louis Vitton Hoodie erstehen möchte, ist im Old Quarter gut aufgehoben. Hier befindet sich quasi der original Fidschi-Markt (Gruß nach Eger).
Nach dem Kauf einer SIM-Karte (250.000 Dong) kamen wir zufällig an der Train Street vorbei.
Die Straße wurde von der Stadt vor einiger Zeit für Touristen gesperrt und die Zugänge werden von Beamten bewacht. Dennoch fanden wir einen netten Ladenbesitzer, der uns durch die Hintertür seines Ladens in eine kleine Nische, ausgestattet mit ein paar Stühlen, ließ.
Da saßen wir dann, mit ein paar Hanoi-Bieren, und haben uns angeschaut, wie unfassbar nah die Gleise zwischen den Häusern verlaufen. Hätte man die Fußspitze zu weit heraus gehalten, wäre sie ab gewesen. Leider kam zu der Zeit als wir da waren kein Zug, das haben wir dann abends nachgeholt.
Am nächsten Tag haben wir uns auf den Weg zum Leninpark gemacht, weil wir das gegenüberliegende Militärmuseum besichtigen wollten.
Leider hatte dieses noch nicht geöffnet, so das wir planlos in der Gegend herum standen.
Dies bemerkte ein geschäftstüchtiger Herr und bot uns an, uns zu unserer nächsten Station, dem französischen Gefängnis (Hỏa-Lò-Gefängnis) zu fahren. Er wollte uns allerdings nicht mit einem Auto sondern seinem Moped dahin bringen. Wir fragten ihn, ob er 2x fahren will? Er meinte nein, wir sollen zu dritt auf seinem Moped Platz nehmen. Ping entgleisten die Gesichtszüge und sie versuchte dem netten Herrn zu verklickern, dass wir das auf keinen Fall tun werden und ob er eigentlich noch alle Latten am Zaun hat. Keine 5 Minuten später, der Typ war sehr überzeugend, saßen wir auf seinem Moped und fuhren entgegen dem Verkehr in eine dreispurige Einbahnstraße. Es ist also definitiv eine gute Idee, vor dem Besuch Vietnams, sein Testament zu machen.
Nach wirklich spektakulärer Fahrt und unzähligen Brüchen der Verkehrsordnung, so es denn eine gibt, kamen wir am Franzosengefängnis (heil) an. Als wir drei vom Moped stiegen, juckte das keine Sau, das ist da völlig normal. Wir haben sogar einmal ein 4er-Moped gesehen. Der gute Herr wollte uns sogar wieder abholen und da diskutieren keinen Sinn hatte, willigten wir ein.
Wir betraten das Museum für spottbillige 30.000 Dong (bisschen was über einen €) und lernten etwas über die französische Kolonialzeit in Vietnam. Die dauerte nämlich fast 100 Jahre (1858 - 1954). Im Gefängnis in Hanoi wurden die kommunistischen Führer, unter recht schlimmen Bedingungen, gefangen gehalten. In einem Raum kann man sogar noch die Guillotine begutachten, mit der damals die Enthauptungen vorgenommen wurden. Ein Altar im Außenbereich erinnert an die verstorbenen Genossen.
Vor dem Gefängnis wartete tatsächlich der verrückte Mopedfahrer und wieder gings, im Affentempo, zu dritt, durch die Straßen Hanois zum Militärmuseum. Dieses Abenteuer hat uns 200.000 Dong (8.11 €) gekostet, damit hat er uns schön übers Ohr gehauen, allerdings war es uns das Wert und das Taxi wäre sicher teurer (aber sicherer) gewesen.
Beim betreten des Militärmuseums wurde mir und Ping salutiert. Selbstverständlich wurde der Gruß, von mir als Veteranen, erwidert, man versteht sich.
Für Freunde großkalibriger Waffen und kommunistischer, sowie erbeuteter Militärtechnik ist das Museum sicher einen Besuch wert. Auch steht der Flagtower auf dem Grundstück des Museums. Von gegenüber grüßt auch noch eine Leninstatue. Der Eintritt kostete 40.000 Dong, für die Kamera durfte ich noch einmal 20.000 Dong extra berappen.
Zu sehen bekamen wir vietnamesische Panzer, eine MIG, jede Menge Kanonen, einen von den Amis erbeuteten UH1-Helicopter und ein sensationelles Denkmal, zusammengesetzt aus abgeschossenen amerikanischen Flugzeugen-genau mein Humor. Im inneren des Museums kann man Bilddokumente und kleinere Waffen aus allen Kriegen mit vietnamesicher Beteiligung besichtigen. Interressant auch die Nachbauten der Fallen, welche in den Jungelkämpfen zum Einsatz kamen. Natürlich nehmen Exponate zum Krieg gegen die Amerikaner (1955 - 1975) einen Großteil der Fläche ein.
Als nächstes hatten wir das Ho-Chi-Minh-Mausoleum auf dem Zettel. Dabei handelt es sich um einen riesigen Prachtbau auf einem weitläufigen Gelände, welcher von Soldaten in Paradeuniform bewacht wird.
Beim betreten des Geländes wurden unsere Rucksäcke durchleuchtet und uns unser Bier abgenommen. Über diesen Umstand waren wir nicht glücklich. Darüber hinaus musste Ping ihre Schultern bedecken. Bingo, bei über 30 Grad und 1 Mio% Luftfeuchtigkeit.
Der gute Ho weilte leider gerade, zur „Reparatur“, in Russland, weswegen wir ihm auch keinen Besuch abstatten konnten. Allerdings waren das Gebäude und der Platz beeindruckend genug.
Wir haben noch ein paar Minuten zugeschaut, wie einige Idioten die gelbe Linie, welche um Mausoleum gezogen war, übertraten und von den Gardesoldaten gerügt wurden, dann wurde es Zeit unsere zwei Hanoi-Bier aus den Fängen des Viet Cong zu befreien.
Die Damen am Eingang haben zwar sparsam geschaut, aber wir habens bezahlt, wir saufen es.
Zu Anfang haben wir uns nicht getraut in der Öffentlichkeit Bier zu trinken, weil wir niemanden mit einer Dose in der Hand gesehen haben und es auch im Internet nichts aussagekräftiges zu dem Thema gab, nach einer Weile war es uns egal und niemand hat sich daran gestört.
Das Thema Essen sollte der Reisende mit Fußballhintergrund ebenfalls auf dem Schirm haben. Eins vorweg, man sollte Reis und fettes Fleisch mögen. An jeder Ecke bekommt man in Hanoi Pho. Das sollte man schon mal probiert haben. Ich habe das knorpelige Fleisch liegen lassen, der Rest war richtig gut. Wir hatten auch mal Beef mit Reis oder eine Pfanne, in der man sein Fleisch selber braten konnte, da haben wir allerdings nicht einmal 50% des Fleisches gegessen, weil es zu fett war. Das teuerste Abendessen, plus 2 Bier und Trinkgeld hat uns umgerechnet 11,80 € gekostet. Das Bier kostet im Restaurant ca. 0,80 €, auf der Straße die Hälfte.
Man sollte auch keine Rückenprobleme haben, wenn man Vietnam besucht, denn die Restaurants erweitern ihre Sitzplätze gerne mit niedrigen Plastikhockern. Generell scheint jeder auf diesen Dingern zu sitzen. Wenn man durch die Straßen läuft, und das Leben spielt sich hier definitiv auf der Straße ab, muss man oft den Hockern ausweichen. Sogar vor den Kneipen hockt man auf den Dingern. Für mein lädiertes Knie und meinen kaputten Rücken war das eine Herausforderung. Und wenn man keinen Hockern ausweichen muss, dann muss man den Mopeds ausweichen, denn die Fußwege werden zum größten Teil als Mopedparkplatz verwendet.
Ein weiter interessanter Fakt über Vietnam ist, das Aufgaben zumeist von viel zu vielen Menschen übernommen werden und dennoch dauert alles seine Zeit. Im Kommunismus ist eben niemand arbeitslos.
Am Spieltag haben wir uns, gegen 16:00 Uhr, auf dem Fußweg zum Stadion gemacht. Ohnehin haben wir in 2 Tagen Hanoi, fußläufig, 37 km zurückgelegt. Auf diesem Wegen lernt man die Stadt sicherlich am besten kennen.
Als wir, gegen kurz nach 17:00 Uhr am Stadion Sân vận động Hàng Đẫy ankamen war es bereits dunkel. Es wird sehr früh dunkel in Vietnam, das sollte man evtl. in seine Planungen einbeziehen. Nach 17:00 Uhr kann die Sonnenbrille in der Gürteltasche bleiben.
Die Tribüne der Gegengerade überragt die Hauptstraße, dass sah schon einmal richtig geil aus. Auch erinnert das Stadion, mit seiner Wucht, an einen kommunistischen Protzbau.
Vor dem Stadion bieten alle möglichen Leute Tickets an. Wir haben unsere Tickets lieber an der regulären Kasse gekauft. Zwei Sitzplatztickets haben uns 200.000 Dong (4,20 €) gekostet. Der geneigte Ticketsammler kauft sich besser ein Ticket mehr, denn am Eingang werden die Karten zerissen und weg geworfen.
Im Übrigen kostet ein Ticket auf der Haupttribüne genau das Doppelte (200.000 Dong).
Wir haben uns einen Platz gesucht und uns zunächst einmal über das große Ho-Chi-Minh-Portrait über der Haupttribüne gefreut. Der Gute ist nicht nur auf jedem Geldschein, er wacht auch über den Hanoi FC.
Unter Ho‘s Bild wurden 6 riesige Trommeln aufgebaut, was die Vorfreude anwachsen lies.
Irgendwann bekamen wir auch Durst, allerdings sollte dieses Problem bis nach Schlusspfiff bestehen bleiben. Ein Ire war so nett mich an seinem Bier nippen zu lassen. Also, nehmt euch eine Tüte mit Getränken und Essen mit, im Stadion gibts nichts.
Auf der Haupttribüne, von uns aus links neben Ho, sammelte sich ein zweiter Mob, mit Trommeln und einem Megafon, es gab auch einen Capoturm und drei Schwenker.
Neidisch schaute ich zu, wie vor dem Capoturm Shirts verkauft wurden.
Der Anpfiff ertönte und von Minute 1 an hatte Hanoi das Heft in der Hand.
Aus dem Bereich mit den Riesentrommeln kam zwar ab und zu mal was, die hatten auch einen Trompeter dabei, aber den Ton gaben die Jungschen an.
Es wurde während des gesamten Spiels hauptsächlich getrommelt, dabei setzten die Fans vor dem Capoturm auch Klatschpappen ein. In Deutschland ein Unding, hier absolut okay. Die Frauenquote bei den aktiven Fans war sehr hoch. Schön zu sehen, wie engagiert die mitgemacht haben.
Hin und wieder wurde mal ein Lied geschmettert, das blieb aber die Ausnahme, man konzentrierte sich aufs Trommeln.
Mit dem Halbzeitpfiff fiel das 1:0 für die Hausherren.
Nach der Pause hatte Da Nang eine einzige Chance, diese war aber so groß, dass es schwerer war den Ball, aus nächster Nähe, über das Tor als ins leere Tor zu schießen. Aus Da Nang war im übrigen niemand mitgekommen.
In beiden Teams spielte jeweils ein Brasilianer. Diese konnten dem Spiel ihren Stempel nicht aufdrücken. Wer weiß was das für fußkranke Rentner waren. Den Vietnamesen wirds egal sein, für die sehen wir Nichtasiaten ohnehin alle gleich aus. Das Niveau des Erstligaspiels ist in etwa mit der dritten Liga in Deutschland gleichzusetzen. Hanoi schaffte es noch, das 2:0 und 3:0 zu erzielen. Nach jedem Tor wurden, vor den Riesentrommeln, Fontänen gezündet, sah gut aus.
Kurz vor Ende des Spiels wurde der Kapitän von Da Nang ausgewechselt. Der Gute bedankte sich, mit Verbeugung, vor dem Heimpublikum und erntete Applaus, in unseren Breitengraden unvorstellbar.
Nach Ende des Spiels musste etwas gegen den Durst getan werden. Hinter der Haupttribüne rissen wir einem Straßenhändler die letzten 333-Bier aus der Hand.
Hanoi ist irre.
Serge