Liebe Bundesligasender!
„100 Prozent Das Spiel – 0 Prozent Gewalt.“ Diesen ebenso kreativen wie tollen Namen trägt eine vor kurzem von euch ins Leben gerufene Initiative. Erklärtes Ziel ist es, den jüngsten Entwicklungen in den deutschen Fußballstadien etwas entgegenzusetzen. Als ich davon las, war ich zunächst irritiert, dann begeistert und am Ende unsicher. Aber der Reihe nach.
Zunächst wunderte ich mich, warum ihr den Entwicklungen unbedingt etwas entgegensetzen wollt. Schließlich bescheinigen nicht nur in der Fanwelt Bewanderte, sondern auch die letzten drei Berichte der ZIS (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze) der Bestie „Fußballgewalt“ stetes Verkümmern. Selbst euer Mitglied ARD kam vor kurzem nicht umhin, diese Tatsache in seinem Nachtmagazin leise vor sich hin zu murmeln. Meine Verwunderung wich allerdings so schnell wie sie gekommen war. Ich erinnerte mich nämlich, dass die anerkannten Experten Niersbach, Kerner und Friedrich die Frage nach dem „Warum“ bereits mit „Weil ich das sage/- es sich anzünden lässt/ – bald Wahlen sind“ beantwortet hatten. Das war absolut plausibel gewesen und ließ mich deshalb unverzüglich zum nächsten Gedanken switchen.
Ich fragte mich, ob es wohl in diesem Jahr weitere Kandidaten für den Friedensnobelpreis geben würde. Sinn machte das freilich keinen. Wer um alles in der Welt sollte schließlich gegen die Schaffung der gewaltfreien Gesellschaft anstinken können. Und daran, das ihr offenbar den Schlüssel genau dazu gefunden habt, lässt der zweite Teil des Titels eurer Kampagne nun mal keinerlei Zweifel. Null Prozent sind null Prozent sind null Prozent. Und so beantwortete ich die Frage ratzfatz mit der einzig möglichen Antwort, schüttelte euch in Gedanken die gewaltlose Hand und fasste völlig euphorisiert den Beschluss, euer Fan zu werden.
Bevor ich und meine ebenso pazifistischen Kumpel vom Fanclub „Weiße Taube“ aber endgültig bei euch unterschreiben, habe ich dann doch noch eine Frage: Was genau gehört eigentlich zu euren „100 Prozent Spiel“? Ist darin auch die nagelneue Werbebande enthalten, die unsere uralte Zaunfahne ersetzt hat? Beinhaltet es die lästigen Flyer, die peinlichen Giveaways und die taub machenden Spots der Finanzdienstleister und Versicherungen? Gehören die Standardarenen mit den Standardnamen, das Standardcatering und die Standardhalbzeitspiele dazu? Spieler, die in ihren Berater fragen müssen, bei welchem Verein sie gerade den aktuellen Marktwert versilbern? Ein Europapokal, in dem sich in absehbarer Zeit der letzte deutsche Nichtabsteiger durch zehn Vorzwischengruppenphasen verdienen wird? TV-Talkrunden, in denen pensionierte Trainer und gescheiterte Journalisten stundenlang den letzten Stuhlgang bayrischer Reservespieler analysieren? Sportzeitschriften, die nahezu ausschließlich aus Artikeln über Transfergerüchte und Spielerverträge bestehen? Was ist mit dreißig Euro teuren Stehplatzkarten, mit Stehplätzen überhaupt? Gehören Cheerleader, Maskottchen und Hüpfburgen zum „Spiel“? Sommermärchen, Public Viewing und Klatschpappen? Die Rolltore, mit denen die Sportgemeinschaft aus Dresden im Stadion die eigenen Fans einsperrt?
Gehört all das zu euren 100 Prozent? Gehört all das zu eurem „Spiel“? Falls ja, würde ich nämlich dann vielleicht doch lieber die Hooligans und die Gewalt behalten wollen. DIE hat „DAS SPIEL“ nämlich 150 Jahre völlig problemlos überlebt.
Sport Frei!
Seniler Zirkusaffe
Quelle
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